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63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes

63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes

Titel: 63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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das Blatt zusammen und schob es in den Brustaufschlag ihres Reitkleides. Er war entzückt, daß seinem Gedicht ein so reizender Ort angewiesen wurde und zog ihr Händchen abermals an seine Lippen. Sie drohte ihm lächelnd mit der anderen Hand und sagte:
    „Gelehrig soll man sein, aber nicht zu sehr!“
    „Oh, man muß sich doch üben!“
    „Üben Sie sich doch bei Mama Brandt.“
    „Schön. Aber darf ich Ihnen zuweilen zeigen, daß ich das, was ich einmal gelernt habe, nicht wieder vergesse?“
    „Ich will es mir überlegen. Kommen Sie!“
    Sein Pferd stand neben dem ihrigen. Er half ihr in den Sattel, und dann trabten sie wohlgemut in den heiteren Wintermorgen hinein.
    Die Stadt lag bald hinter ihnen. Sie fühlten sich unbeobachtet und ungestört und plauderten so lebhaft und laut miteinander, als ob sie sich ganz allein in der schönen Gotteswelt befanden. Sie fühlten sich glücklich, und sie verdienten das.
    Vor ihrem Weg, mitten in der Chaussee hielt ein Schlitten, welcher nur mit einem Pferd bespannt war. Darin saß ein Frauenzimmer. Ein Mann war ausgestiegen, um sich beim Pferd zu schaffen zu machen. Es war irgend etwas am Geschirr in Unordnung geraten.
    Dieser Mann war der Jude Salomon Levi. Die im Schlitten saß, war Judith, seine Tochter.
    Er hatte auf einem Nachbardorf zu tun gehabt, und Judith war sogleich bereit gewesen, von der Partie zu sein, zu welcher er sich das Geschirr von einem Bekannten geborgt hatte. Er war kein berühmter Rosselenker; aber der Gaul war alt und abgetrieben, und so durfte keine Gefahr befürchtet werden.
    Aber auf dem Rückweg begann das Pferd doch allerlei ungewöhnliche Bewegungen zu machen, und da er sich dieselben nicht erklären vermochte, so wendete er sich an Judith:
    „Siehst, wie da wackelt der Gaul mit dem Kopf?“
    „Ja.“
    „Und wie er wirft auf die Seite das Bein?“
    „Ja, Vater.“
    „Wie er schnauft mit die Nüstern und legt hinten hinüber alle seine beiden Ohren?“
    „Er hat etwas.“
    „Oder hat er etwas nicht. Was will er haben? Er hat den Schlitten und er hat uns beide. Wenn er will haben noch etwas, so kann er bekommen die Peitsche.“
    „Um Gottes willen, Vaterleben, schlage ihn nicht.“
    „Warum soll ich ihn nicht schlagen? Habe ich ihn doch geborgt für drei Gulden fünfzig Kreuzer.“
    „Aber er wird dich schlagen mit dem Hufeisen.“
    „Das ist allerdings gefährlich! Aber warum läuft er denn nicht, wie er hat zu laufen, wenn er ist gehängt an den Schlitten?“
    „Vielleicht ist ein Riemen entzwei?“
    „Möglich.“
    „Sieh einmal nach!“
    „Schön. Werde ich aussteigen, um zu bringen die Sache in Ordnung.“
    Er stieg aus dem Schlitten und wollte sich dem Pferd nähern; da aber warnte ihn Judith in ängstlichem Ton:
    „Vaterleben, was willst du tun? Willst du dich begeben in die Gefahr deines eigenen Lebens?“
    „Wo denn?“
    „Hast du doch die Peitsche in der Hand!“
    „Natürlich. Soll ich etwa haben die Peitsche in der Westentasche?“
    „Aber du sollst nicht mit ihr so nahe an das Pferd gehen. Wenn es sieht die Peitsche, wird es denken, daß es erhalten soll Prügel, und dann wird es anrichten ein Unglück.“
    „Gut, so werde ich sie weglegen.“
    „Gib sie mir! Ich werde sie halten.“
    „Ja, mein Tochterleben. Hier hast du sie. Aber schlage nicht mit ihr nach dem Gaul, sonst läuft er davon mit dem Schlitten und mit dir, und ich muß laufen nach Hause in meinen Stiefeln, welche ich habe gekauft in voriger Woche für einen Gulden achtzig Kreuzer.“
    Er gab ihr die Peitsche und näherte sich dann vorsichtig dem Pferd, um zu sehen, welcher Fehler zu verbessern sei.
    „Siehst du, welche Augen mir macht der Rappe?“ fragte er.
    „Nein.“
    „Er dreht die Augen heraus wie ein Leviathan. Er dreht sie nach vorn und nach hinten. Jetzt weiß ich nun nicht, mit welchen Beinen er wird schlagen nach mir, ob mit den vorderen oder mit den hinteren.“
    „Streichle ihn, Vaterleben! Schnalze mit der Zunge und rede mit ihm mit lieblicher Stimme!“
    „Denkst du, daß er dann bekommen werde auch liebliche Gedanken?“
    „Ja, er wird sie bekommen.“
    Er befolgte ihren Rat und fand endlich, was ein jeder andere sofort gesehen haben würde, nämlich, daß einer der beiden Stränge ausgekettelt war. Er besserte den Schaden aus und wollte eben wieder in den Schlitten steigen, da deutete Judith nach vorn und sagte:
    „Vaterleben, siehst du die beiden Reiter?“
    „Ja. Gott Abrahams! Warum kommen die denn geritten gerade

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