63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
meinen das Ballett?“
„Ja. Wenn sich zwei solche Rivalinnen messen, so gibt es auf alle Fälle eine Ernte für Sie.“
„Wir sprachen soeben von den beiden Tänzerinnen“, bemerkte jetzt der Kleine.
„Kennen Sie sie denn?“
„Freilich. Beide meldeten sich selbstverständlich gestern auf unserer Redaktion.“
„Welche gefällt Ihnen besser?“
„Hm! Schöner ist die Amerikanerin, aber –!“
„Was aber –?“
„Ob auch interessanter und liebenswürdiger, das möchte ich nicht behaupten.“
„Ganz so, wie auch ich denke.“
„Sie haben dieselbe Erfahrung gemacht?“
„Gewiß. Erst kam die Miß. Ich kann wohl sagen, daß ihre Schönheit auf mich einen sehr günstigen Eindruck machte. Ich habe noch kein solches Mädchen gesehen, und das ist sehr viel gesagt bei den Erfahrungen, welche unsereiner gesammelt hat.“
„Das möchte ich nicht behaupten. Sie ist halb Juno und halb Diana, nämlich echt jungfräulich und doch dabei bereits üppig genug, um Herzen zu erobern.“
„Hm! Sie lieben also auch das Üppige!“
„Eine fette Ente ist mir stets lieber, als eine magere Gans oder Henne. Freilich wird dieser günstige Eindruck, welchen die Amerikanerin macht, nie lange von Dauer sein. Sie ist ohne Geist.“
„Ohne Seele und Gemüt.“
„Ja, sie hat keine Gefühle, sie ist Eis. Der Herr Intendant war sehr wißbegierig, sie kennenzulernen, hat sich aber schließlich sehr enttäuscht gefühlt.“
„Ihr Äußeres hat ihm nicht gefallen?“ fragte Holm.
„Oh, das muß einem jeden gefallen. Ich bin zwar nicht mehr der Allerjüngste, möchte aber doch ein Schäferstündchen mit ihr aufs Feinste honorieren; aber sie ist, wie gesagt – Eis. Ich habe Wort für Wort der Unterhaltung gelauscht, welche mein Herr mit ihr führte. Er hat alles getan, um dieses Eis aufzutauen, doch vergebens. Wissen Sie, was sie ihn antwortete, als er sie um einen Kuß bat?“
„Nun?“
„Er sei zu alt.“
„Das ist stark!“ meinte der Kleine.
„Sie nannte ihn Großvater und Urgroßvater.“
„Das ist noch stärker; das ist fast frech!“
„Und sodann warf sie ihm vor, daß er falsches Haar trage. Denken Sie sich!“
„Da weiß man wirklich nicht, was man dazu sagen soll! Trägt denn der Herr Intendant wirklich eine Perücke?“
„Hm! Sie wissen, daß unsereiner diskret sein muß. Aber sie hat sogar die Verwegenheit gehabt, sein Toupet zu berühren, um es, da es sich verschoben hatte, in die richtige Lage zurückzubringen.“
„Echt amerikanisch, bei Gott!“
„Und dann, als sie ging, da leuchteten ihre Augen nur so vor Vergnügen über die Dummheiten, welche sie begangen hatte.“
„Eine Tänzerin sollte klüger sein!“
„Und zutraulicher!“
„Aufmerksamer und hingebender! Die Leda hat sich dagegen ganz anders benommen.“
„War sie nach oder vor der Amerikanerin bei Ihnen?“
„Gleich nach ihr.“
„Wie gefiel sie Ihnen?“
„Hm! Sie ist bereits etwas abgestanden. Sie hat Erfahrungen; aber das schadet ja nichts. Ihr kommt es auf einige Dutzend Küsse ganz und gar nicht an.“
„Sie übertreiben!“ meinte Holm, in der Absicht, ihn zu näherer Mitteilung zu reizen.
„Oho! Wenn Sie wüßten, was im Kabinett des Herrn Intendanten passiert ist!“
„Können denn Sie es wissen?“
„Warum nicht? Hat denn ein Reporter keine Ahnung, daß es Schlüssellöcher gibt?“
„Ach so! Sie haben gelauscht?“
„Gelauscht und gesehen.“
„So ist der Herr Intendant also wohl sehr zufrieden mit der Leda gewesen?“
„Er war höchst befriedigt von ihr, grad ebenso wie ich.“
„Auch Sie! Hm!“
Holm machte bei diesen Worten eine Miene, als ob er Zweifel hege.
„Was meinen Sie mit diesem Hm, Herr Holm?“ fragte der Diener in strengem Ton.
„Ich denke vergeblich darüber nach, in welcher Weise auch Sie befriedigt sein könnten.“
„Nun, in ganz derselben Weise wie der Herr Intendant. Das versteht sich ganz von selbst.“
„Sie wollen damit sagen, daß die Leda auch gegen Sie liebenswürdig gewesen sei?“
„Ja, gewiß.“
„Das soll natürlich heißen, freundlich.“
„Nein, sondern zärtlich.“
„Oho!“
Monsieur Jean strich sich die glattrasierten Wangen und fragte in selbstgefälligem Ton:
„Sie wollen zweifeln?“
„Vielleicht doch wohl.“
„Unsinn! Sie scheinen die Verhältnisse, welche man in vornehmen Häusern findet, nicht zu kennen!“
„Ich glaube, gerade in dieser Beziehung nicht ununterrichtet und unerfahren zu sein.“
„Dann aber
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