63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
sie dem Theaterdiener hin und sagte:
„Da, Papa Werner, suchen Sie sich etwas aus!“
Der Genannte machte ganz erschrockene Augen und fragte:
„Aussuchen?“
„Natürlich.“
„Von diesen Speisen?“
„Was denn sonst?“ lachte Holm.
„Herr, sind Sie des Teufels?“
„Wie kommen Sie zu dieser Frage?“
„Da steht: Gänsebraten achtzig Kreuzer, Hasenbraten einen Gulden, Rehrücken, Wildschweinkeule, auch zu einem Gulden. Dann Schnitzel, Rumpfsteak, Koteletts, Gulasch und Paprikafleisch, jedes zu siebzig Kreuzer! So etwas kann nur einer essen, dem das Geld aus der Tasche purzelt!“
„Nun, mir purzelt es heraus!“
„Wie, was, wirklich? Haben Sie im Lotto gewonnen?“
„Das nicht; aber ich habe mich engagieren lassen und ein gutes Draufgeld erhalten.“
„So, so! Das freut mich um Ihretwillen von ganzem Herzen. Aber Sie dürfen sich meinetwegen nicht berauben!“
„Haben Sie keine Sorge, Papa Werner. Es reicht zu. Also, suchen Sie sich etwas aus.“
„Na, wenn Sie durchaus wollen! Hunger habe ich wie ein Nußknacker. Da unten steht: Hamburger Butterbrot, dreißig Kreuzer. Darf ich mir das geben lassen?“
„Nein. Warum suchen Sie sich das Billigste heraus? Wenn Sie so lange gehungert haben, werden Sie von einer Hamburger Stulle nicht satt. Nehmen Sie etwas von da oben!“
„Das ist zu teuer!“
„Das geht Sie nichts an!“
„Hm! Soll ich so eine Delikatesse nehmen, und die Meinen sitzen zu Hause und hungern!“
„Still! Ihre Familie soll nicht hungern. Sehen Sie hier diese zehn Gulden! Ich borge sie Ihnen.“
Er nahm die angegebene Summe heraus und schob sie dem Theaterdiener hin; dieser aber fuhr zurück, streckte die Arme wie abwehrend aus und sagte:
„Gott soll mich behüten, Sie um ein solches Geld zu bringen! Sie brauchen es selbst!“
„Nein, ich brauche es jetzt nicht.“
„O doch! Ich weiß es!“
„Nichts wissen Sie!“
„Alles, alles weiß ich!“
„So? Wirklich? Wissen Sie etwa auch, daß ich jetzt über hundert Gulden eingesteckt habe?“
„Hun – hun – hundert Gul – gul – gul – den?!“ stieß der Mann vor Erstaunen stotternd hervor.
„Ja. Sie sehen also, daß ich Ihnen ganz gut und gern zehn Gulden leihen kann. Sie sollen Holz und Kohlen kaufen und auch Essen für Ihre Familie.“
„Ist das die Wahrheit? Oder sagen Sie das nur, damit ich die zehn Gulden annehmen soll?“
„Es ist die Wahrheit. Da, sehen Sie!“
Er öffnete das Portemonnaie und hielt es ihm hin.
„Wirklich, wirklich! Herrgott, welch ein Geld! Ja, ich möchte das Darlehen recht gerne annehmen; aber ich bin Ihnen doch bereits vier Gulden schuldig!“
„Das tut nichts!“
„Dann sind es vierzehn!“
„Sie werden sie mir ja wiedergeben!“
„Ich sage es Ihnen aufrichtig, daß dies nicht so sehr bald geschehen wird!“
„Nun, so zahlen Sie dann, wenn Sie können. Also bitte, stecken Sie das Geld ein!“
Dem Theaterdiener standen die Tränen der Freude im Auge. Er hielt dem Reporter die Hand hin und sagte:
„Herr Holm, ich weiß nicht, was ich sagen soll; darum will ich lieber gar nichts sagen. Ja, ich will das Geld annehmen. Sobald ich kann, gebe ich es Ihnen wieder, und unser Herrgott, der es sieht, welche Hilfe Sie mir bringen, mag tausendfältige Zinsen zahlen,.“
Auch Max war gerührt. Er schüttelte dem braven Manne die Hand und sagte:
„Nun suchen Sie sich aber auch ein Essen aus.“
„Auch das noch! Aber – essen Sie nicht auch?“
„Hm! Sie denken wohl, es schmeckt Ihnen nicht, wenn Sie allein essen sollen?“
„Ja, so ist es. Es würde mir so schmecken, als ob ich ein Almosen hinunterschlucke. Essen Sie aber mit, dann ist's ja eine Freundesgabe.“
„Nun gut, ich esse mit.“
Das Auge des Theaterdieners war mit Begierde auf den oberen Teil der Speisekarte gerichtet. Doch wagte er nicht, sich von da etwas zu wählen. Daher fragte er lieber:
„Was werden Sie sich bestellen?“
Max erriet ihn und antwortete daher lächelnd:
„Werden Sie essen, was ich auch esse?“
„Soll ich denn?“
„Ja.“
„Gut! Ich darf doch nicht nein sagen, mein lieber Herr Holm.“
„Schön! Ich werde mir also erst Gänsebraten und dann Rehrücken geben lassen.“
„Sapristi!“ rief Werner, indem er halb von seinem Stuhl emporfuhr. „Und das soll ich auch bekommen?“
„Natürlich!“
„Gänsebraten habe ich vor acht Jahren einmal gegessen, nämlich auf einer Hochzeit, Rehrücken aber in meinem ganzen Leben noch nicht. So etwas kann
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