63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
Scheune! Aber dennoch wären wir fast in das Verderben gerannt. Wenn uns nun anstatt dieser riesigen Aurora ein anderer Mensch erwischt hätte!“
„Dann freilich wäre es um uns geschehen gewesen. Übrigens war es doch gut, daß ich mich einschüchtern ließ und den Namen des Mädchens nannte, welchen ich kurz vorher auf dem Kirchhof erfahren hatte. Sobald die Aurora diesen gehört hatte, stimmte sie augenblicklich um. Es schien fast, als ob sie auf diese Familie eine große Rache habe. Sie half das Kind verstecken, schob selbst die Steine vor und gab mir dann den Rat, am andern Tag den Brief an die Polizei zu schreiben.“
„Gut, daß es so abgelaufen ist! Dieser Rat war ein schlechter.“
„Wieso?“
„Wie leicht konnte entdeckt werden, wer den Brief geschrieben hatte. Du kannst deine Hand nicht verstellen.“
„Wer aber kannte meine Schrift?“
„Niemand, das ist wahr. Aber du hattest einige Male an Bruno geschrieben. Vielleicht hatte er die Briefe aufgehoben, und man kann nie wissen, wie der Teufel sein Spiel kartet.“
„Pah. Ich brauchte keine Angst zu haben.“
„Noch größer aber war die Unvorsichtigkeit mit der Gardinenschnur. Du hattest sie abgerissen. Wie nun, wenn man die Hafte von dem Hals des Kindes nahm und sie mit der anderen Hälfte, welche noch in deiner Stube hing, verglich?“
„Daran war nicht zu denken.“
„Es ist an alles zu denken!“
„Um das zu tun, hätte man mich in Verdacht haben müssen!“
„Irgendein Zufall konnte den Verdacht auf dich lenken!“
„Man hätte auch wissen müssen, daß ich bei Petermann gewohnt habe. Man kannte mich überhaupt gar nicht. Lassen wir lieber diese alten Sachen. Die andere sitzt im Zuchthaus, und ich werde Primaballerina und werfe meine Netze nach irgendeinem Geburts- oder Geldaristokraten aus.“
„Etwa wieder nach dem Baron?“
„Nein. Ich will nicht Geliebte sein; ich will Frau werden, und er ist verheiratet.“
„Seine Frau ist aber wahnsinnig. Er kann geschieden werden, und zwar sehr bald.“
„Hast du nicht gehört, daß sie aus der Irrenanstalt verschwunden ist? Sie kann baldigst wieder auftauchen. Nein, der Baron geht mich nichts mehr an. Ich angle mir einen andern und besseren.“
„Dann rate ich dir den Fürsten von Befour.“
„Der ist mir zu sauer, das heißt, er hängt mir viel zu hoch. Ehe ich an eine bestimmte Persönlichkeit denke, muß ich Engagement haben. Und um dies zu finden, muß ich diejenigen poussieren, welche dabei maßgebend sind. Dabei fällt mir ein, daß ich noch einmal zum Kapellmeister muß. Er wird die Partitur bekommen haben.“
„Du meinst, daß er seine Sache machen wird?“
„Jedenfalls. Er ist geizig, und ich habe ihm Orchestertantiemen versprochen. Ich habe sie alle im Sack, außer dem Direktor, der ein Dummkopf und Ignorant ist. Monsieur Léon Staudigel wird sein Möglichstes tun. Ich wollte, er hätte seinen Lohn bereits!“
„Fürchtest du dich vor ihm?“
„Fürchten? Unsinn! Aber er ist ein altes Gerippe, und es ist gewiß kein Vergnügen, nach der Vorstellung sich von ihm nach dem Bellevue entführen zu lassen, um in seinen Armen zu liegen. Damit will er sich bezahlt machen. Er hat es sehr eilig, daß er mir bereits jetzt mitteilt, wohin er mich führen will. Dieses eine Mal muß ich mich fügen. Später führe ich ihn an der Nase irre. Jetzt gehe ich. Adieu!“
„Adieu! Wirst du lange fortbleiben?“
„Ich weiß es noch nicht.“
„Kürze die Liebenswürdigkeiten mit dem alten Kapellmeister ab.“
„Liebenswürdigkeiten? Wo denkst du hin! Geld will der haben. Ein einziger Kreuzer ist ihm lieber, als tausend Küsse von den schönsten Lippen. Ich bin neugierig, wieviel Prozent er verlangen wird, nachdem ich dem Oberclaqueur bereits für ein Jahr zehn von Hundert versprechen mußte.“
„Ein reicher Liebhaber bringt das wieder ein!“
„So hilf mir suchen, daß ich baldigst einen finde, denn unsere Kasse reicht nicht weit mehr aus!“
Holm hörte die Tür öffnen und schließen; dann wurde es drüben still.
Was hatte er alles vernommen! Es war ihm, als ob er träume. Stand das, was er erlauscht hatte, vielleicht in Beziehung zu dem, was ihm von dem Theaterdiener erzählt worden war? Es kam dies als höchst wahrscheinlich vor. Wer war jener Petermann, jener Bruno, jener Baron und jene riesige Aurora? In Beziehung auf Petermann und den Baron gab es Anhaltspunkte: Der erstere war in dem Zuchthaus gewesen, und der letztere hatte eine Frau, welcher es
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