63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
daß bei der Geschichte ein wenig Raffinesse vorhanden ist.“
„Ah, also doch ein Schwindel?“
„Das nicht. Es darf sich ja ein jeder überzeugen, daß der Unterleib fehlt. Freilich scheinen alle diese Leute nicht zu wissen, wo man den Unterleib zu suchen hat.“
„Nun, wo denn anders als unterhalb des Oberleibes?“
„Da ist er aber nicht.“
„Doch nicht etwa oberhalb des Kopfes!“
„Nein.“
„Oder auf dem Rücken!“
„Auch nicht. Nämlich die Tau-ma sitzt – oder vielmehr sitzen kann sie ja nicht, da der Unterleib fehlt – sie steht auf einer Schaukel.“
„Mit der Taille?“
„Ja. Schneide einen Menschen in der Mitte des Körpers durch und setze die obere Hälfte auf die Schaukel. So, ganz so ist es.“
„Hm! Jetzt errate ich, wie es ist.“
„Nun, wie?“
„Die Schaukel ist fingiert?“
„O nein. Die Schaukel hängt wirklich an der Decke. Jeder Zuschauer kann sie betrachten und befühlen.“
„Und sie bewegt sich auch?“
„Ja. Sie hängt still, oder sie bewegt sich ganz, wie es vom Publikum verlangt wird.“
„Und dieser Oberleib bewegt sich mit? Das heißt, er schaukelt hin und her?“
„Natürlich! Jeder Zuschauer kann unter die Schaukel sehen oder greifen, um sich zu überzeugen, daß wirklich nur der Oberleib vorhanden ist.“
„Der Unterleib fehlt unter der Schaukel?“
„Ja.“
„Nicht menschenmöglich!“
„Oh, ihr klugen, gelehrten Leute, wie seid ihr doch so dumm, so dumm! Es ist allerdings nicht das dabei, was man Schwindel nennen könnte, aber eine Täuschung ist vorhanden, und zwar eine optische.“
„Das möchte ich bestreiten.“
„Warum?“
„Wenn man so nahe steht, daß man sogar unter die Schaukel greifen kann, dann ist eine optische Täuschung gar nicht möglich.“
„Dann ist es um deine Physik sehr schlecht bestellt. Es gehört gar kein Newton oder Humboldt dazu, dieses Kunststück zu begreifen.“
„Also ein Kunststück ist es doch?“
„Ja freilich!“
„Der Unterkörper ist vorhanden?“
„Ja.“
„Aber man fühlt ihn ja nicht unter der Schaukel!“
„Weil er sich hinter derselben befindet.“
„Unmöglich! Man kann doch nicht einen lebenden menschlichen Körper zerschneiden und die obere Hälfte auf die Schaukel stellen, die untere aber hinter dieselbe bringen.“
„Von einem Zerschneiden ist gar keine Rede. Natürlich liegt es in meinem Interesse, daß kein Mensch erfahre, in welcher Weise das Kunststück zustande kommt, dir aber kann ich es erklären.“
„Ich bitte dich wirklich sehr darum! Deine Tau-ma ist also wohl eine vollständige, regelrecht gewachsene und ausgebildete Person?“
„Ja. Ein jedes Frauenzimmer kann als Tau-ma auftreten. Denke dir eine kleine, schmale aber sehr tiefe Bühne, in deren äußerstem Vordergrund eine gewöhnliche Schaukel hängt, ein Brettchen mit Schnüren oder Ketten. Die Bühne an sich mit schwarzem Tuch tapeziert und vollständig unerleuchtet, also dunkel. Der vordere Teil aber, da, wo sich die Schaukel befindet, ist sehr hell erleuchtet, wozu sogar scharfe Reflektoren verwendet werden, damit auf die Schaukel, aber auch nur auf sie, ein recht grelles Licht falle. Ebenso hell erleuchtet ist der Zuschauerraum. Was wird nun die Folge dieser großen Helligkeit der vorderen Partie sein?“
„Daß die hintere Partie desto dunkler erscheint.“
„Richtig. Es ist ganz unmöglich, zu sehen, was sich hinter der Schaukel befindet.“
„Ah! Dort also befindet sich der Unterkörper!“
„Ja.“
„Aber wie? In welcher Lage.“
„Sehr einfach: Es ist nicht nur die Schaukel da, sondern es sind deren zwei vorhanden, eine vordere, welche grell beleuchtet ist, und eine hintere, welche man des tiefen Dunkels wegen nicht zu erblicken vermag. Auf der vorderen liegt der Ober-, auf der hinteren aber der Unterkörper.“
„Da müssen die Zuschauer aber doch sofort bemerken, daß der Oberkörper nicht auf der Schaukel steht, sondern auf ihr liegt. Sie werden also dem Unterkörper nicht unter, sondern hinter ihr suchen, und dann ist das ganze Geheimnis verraten.“
„Langsam, langsam! Daran haben wir gar wohl gedacht. Wir haben eine höchst einfache Vorrichtung erfunden, durch welche das Publikum auf das vollständigste getäuscht wird. Wir befestigen nämlich auf die vordere, hell erleuchtete Schaukel eine künstliche Taille, eine – will ich sagen – eine ausgestopfte Schnürbrust, ein massives Korsett. Die Tau-ma nimmt nun auf der hinteren Schaukel Platz. Ihr Oberkörper
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