63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
du sie so sehen, daß du vollständig orientiert sein kannst, nämlich fast ganz entkleidet.“
„Wie willst du das fertigbringen, wenn sie, wie du sagst, ein braves Mädchen ist?“
„Das laß meine Sorge sein. Ihr Vater befindet sich jedenfalls draußen im Vorzimmer. Er darf dich jetzt nicht sehen. Tritt einmal da in das Nebenzimmer! Wenn du die Tür ein wenig offen läßt, wirst du hören, was ich mit ihm zu besprechen habe.“
Der Kunstreiter entfernte sich. Sein Bruder klingelte. Jean, der Diener, trat ein.
„Ist Werner da?“
„Ja, gnädiger Herr.“
„Soll eintreten!“
Jean drehte sich um, blieb einen Augenblick lang stehen und machte wieder rechtsum kehrt.
„Gnädiger Herr!“ sagte er.
„Was gibt es noch?“
„Dieser Werner hat einige Male um Gehaltszulage angehalten, wie ich hörte?“
„Ja. Was soll das hier?“
„Ich war in seiner Wohnung. Es war fürchterlich. Kopf an Kopf. Er braucht es wirklich!“
„Mache keinen Unsinn. Zulage zu vergeben ist nicht deines Amtes; darum laß deinen Vorwitz.“
„Der Exekutor war bei ihm!“
„Woher weißt du das?“
„Er hat es mir soeben erzählt. Er weinte dabei.“
„Mensch, ich glaube, aus dir ist ein altes Weib geworden. Seit wann hast du dir denn ein so mitleidiges Herz angeschafft? Ich habe es bei dir nie bemerkt.“
„Das will ich aufrichtig sagen. Er glaubt, daß meine Fürbitte von Vorteil sei und hat mir für drei Jahre lang die Hälfte der Zulage versprochen, die er bekommt.“
„Alle Teufel, bis du aufrichtig!“
„Ich würde aber dieses Geld gar nicht annehmen“, fuhr Jean unbeirrt fort. „Ich brauche es nicht, denn ich habe einen gütigen Herrn, er aber hat es desto nötiger. Zweiunddreißig Gulden Steuern schuldig und ein halbes Jahr Mietzins. Er soll nächstens gerichtlich herausgeworfen werden.“
„Erzählte er auch das?“
„Ja.“
„So hat er kein Ehrgefühl.“
„Vom Ehrgefühl bezahlt man weder Hauszins noch Steuern, gnädiger Herr! Dazu Arzt und Apotheke!“
„Mach, daß du fortkommst! Ich mag nichts weiter hören. Er soll eintreten! Marsch hinaus!“
Jean schickte den Theaterdiener herein. Dieser grüßte sehr unterwürfig und wartete die Anrede ab.
„Ich höre, daß deine Frau krank ist?“ fragte der Intendant, welcher es für geraten hielt, diplomatisch vorzugehen.
„Sehr!“ lautete die Antwort.
„Ist es gefährlich?“
„Der Arzt macht mir Sorge.“
„Hm! Und ausgepfändet bist du worden?“
„Ich kann es nicht leugnen.“
„Und aus der Wohnung sollst du geworfen werden?“
„Leider!“
„Aber Mensch, wie kann man es so weit kommen lassen?“
„Wenn ich die Steuern und den Zins von meinem Geld abziehe, kommt auf die Person meiner Familie noch nicht ganz ein halber Gulden pro Monat!“
Mit diesen einfachen Worten hatte er das ganze jammervolle seiner Lage bezeichnet.
„Deine Leute mögen nebenbei arbeiten!“ rief der Intendant.
„Das tun sie auch, sonst wären wir bereits verhungert!“
„Du bist einige Male wegen Zulage gekommen. Das geht nicht so schnell. Wollen sehen, ob es nächstes Jahr möglich ist, dir etwas mehr zu zahlen, jetzt aber geht es nicht an. Aber eine Kleinigkeit zu verdienen, dazu bietet sich heute gleich eine passende Gelegenheit.“
„Ich werde sie mit Freuden ergreifen!“
„Ich hoffe es! Hast du gehört, daß die Bellmann ganz plötzlich unwohl geworden ist?“
Werner erbleichte. Er ahnte, was nun kommen werde, und vergaß in seiner Bestürzung, eine Antwort zu geben.
„Nun?“ fragte der Intendant.
„Ich habe es nicht erfahren.“
„Sie kann leider heute nicht auftreten, heute, da gerade der Stern des Harems gegeben wird. Hat vielleicht deine Tochter Zeit?“
„Sie hat sehr notwendig, Herr Intendant.“
„Was denn?“
„Sie strickt Seelenwärmer und muß morgen abliefern. Sie muß die ganze Nacht hindurch arbeiten.“
„Sie mag übermorgen abliefern.“
„Das geht nicht. Sie würde ihre Arbeit einbüßen.“
„Aber ich brauche sie! Sie ist gerade geeignet, die Stelle der Bellmann zu ersetzen.“
„Gnädiger Herr, meine Tochter ist nicht engagiert“, wagte Werner zu bemerken.
„Aber du!“
„Sie steht zur Bühne in keinem Verhältnis.“
„Desto mehr du!“
„Sie besitzt keine Routine, keine Übung, keine Begabung!“
„Ist hier auch nicht nötig!“
„Sie kennt übrigens auch das Stück gar nicht!“
„Auch das wird nicht verlangt. Sie hat sich in malerischer Haltung auf den Diwan zu legen. Das ist
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