63 - Der verlorene Sohn 04 - Sklaven des Goldes
Jahrmarkt oder Vogelschießen! Natürlich ist die Sache Schwindel?“
„Schwindel? Wie meinst du das?“
„Nun, diese Dame existiert überhaupt nicht?“
„Oho! Sie existiert!“
„Mit Oberleib?“
„Mit Oberleib!“ nickte der Bruder.
„Und ohne Unterleib und Beine?“
„Ohne, ganz ohne.“
„So ist's ein Bild oder ein Torso, gemalt oder von Holz, Gips oder sonst einem Stoff?“
„Nein. Die Tau-ma ist lebendig.“
„Unsinn!“
„Ich sage dir, daß sie lebt!“
„Sie sieht und hört?“
„Ja.“
„Und spricht?“
„Natürlich!“
„Ißt und trinkt?“
„Sogar mit großem Appetit, wenn sie nämlich etwas hat!“
„Dann ist sie allerdings das größte Wunder der Welt!“
„Ja, das ist sie. Sie hat mir mehr Geld eingebracht, als alle meine dressierten Pferde und Hunde!“
„Aber wie kann sie leben ohne Unterleib?“
„Das ist ja eben das Wunder!“
„Wie kann sie essen und trinken?“
„Das gehört ja zum Leben! Sie kann doch nicht verhungern und verdursten!“
„Aber wenn sie ißt und trinkt, muß sie doch auch verdauen?“
„Das tut sie auch!“
„Womit denn? Sie hat doch keinen Magen?“
„Oho! Der Oberleib reicht bis dahin, wo die Taille in die Hüfte übergeht.“
„Das übrige fehlt?“
„Ja.“
„So hat sie aber doch weder Gedärme, noch Milz, Niere und sonstige Eingeweide?“
„Ja, das ist freilich schrecklich!“ lachte der Kunstreiter.
„Wie also kann sie verdauen?“
„Nun, den ersten Teil der Verdauung, so weit es den Oberkörper betrifft, kann man beobachten. Man sieht sie essen, trinken, kauen und verschlingen. Den zweiten Teil aber macht sie privatim ab.“
„Unbegreiflich!“
„Das sagen alle Zuschauer, obgleich ich es einem jeden erlaube, sie zu begreifen.“
„Wie? Man darf sie untersuchen, sich nicht bloß mit den Augen, sondern auch mit den Händen überzeugen, daß der Unterkörper wirklich fehlt?“
„Gewiß!“
„Ja, Bruder, wenn du wirklich im Besitz dieses Wunders bist, so wirst du Millionär. Wo hast du dieses Wesen gefunden?“
„Es ist zu mir gekommen. Ich habe riesige Einnahmen erzielt. Dann wurde die Tau-ma stolz und anspruchsvoll. Sie wollte gar mit mir teilen, und als ich mich weigerte, darauf einzugehen, ist sie mir durchgebrannt, bei Nacht und Nebel davongelaufen.“
„Gelaufen?“
„Buchstäblich davongelaufen, da keine Fahrgelegenheit vorhanden war.“
„Hole dich der Teufel! Ich denke, sie hat keinen Unterleib?“
„Der fehlt allerdings vollständig.“
„Und dennoch ist sie davongelaufen?“
„Ja, über alle Berge!“
„Aber zum Laufen muß man doch Beine haben?“
„Das brauchst du gar nicht zu erwähnen; das weiß ja jedes Kind, mein bester Bruder!“
„Jetzt werfe ich dich zur Tür hinaus, trotzdem du mir willkommen bist! Wenn deine Tau-ma davongelaufen ist, so muß sie doch Beine gehabt haben!“
„Natürlich hat sie die!“
„Und vorhin hatte sie keine?“
„Nicht eine Spur davon!“
„So wachsen sie ihr wohl?“
„Ja. Beine hat sie, und Beine hat sie nicht. Zwischen diesen beiden Tatsachen liegt immer nur die Zeit von wenigen Minuten oder gar nur Sekunden. Wie ich sage, ist sie mir ausgerissen. Nun muß ich sie durch eine neue, durch eine andere Tau-ma ersetzen.“
„Du meinst, daß es mehr solche Wesen gibt?“
„Millionen!“
Der Intendant war wirklich verblüfft. Er sperrte den Mund auf und blickte seinen Bruder starr an. Dieser lachte laut auf und fragte:
„Dir will wohl der Verstand durchbrennen, gerade wie mir mein größtes Wunder der Welt?“
„Fast möchte ich ja sagen.“
„Nun, halte ihn nur fest, sonst kannst du dieses Wunder nicht begreifen, trotzdem ich bereit bin, es dir zu erklären.“
„Ich weiß in Wahrheit nicht, woran ich bin. Wenn diese Tau-ma in Wirklichkeit existiert und nicht bloß in deiner Phantasie, so bist du der beneidenswerteste Mann, den es nur geben kann. Das Geld muß dir nur so zufließen. Ist sie denn sonst wohlgebildet?“
„Ich sage ja, daß sie eine Schönheit ist!“
„Wie aber steht es mit dem Geist, dem Verstand?“
„Vollständig befriedigend! Sie schreibt alles, liest alles und gibt auf jede Frage die rechte Antwort.“
„Ohne alle Beihilfe?“
„Ohne Beihilfe, denn sie ist ein geistig sehr gut veranlagtes und ausgebildetes Wesen.“
Da schüttelte der Intendant den Kopf und sagte:
„Jetzt, nun steht er still!“
„Wer? Dein Verstand?“
„Ja.“
„Na, ich will ihm zu Hilfe kommen. Ich gestehe,
Weitere Kostenlose Bücher