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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Lichtung eine Hütte – Haus war es ja nicht zu nennen. Rohe, ungetünchte Mauern, kleine, enge Fenster, eine niedrige Tür, das Dach von Schindeln, dem allem sah man es an, daß es keinen übermäßigen Reichtum berge.
    Dennoch sah es nicht etwa gar zu ärmlich aus. Daran mochte vielleicht der dichte, undurchdringliche Buchenzaun schuld sein, welcher den anstoßenden Garten mehrere Ellen hoch einrahmte. Und dem Erbauer hatte es wohl auch nicht an einem gottesfürchtig heiteren Gemüt gefehlt, denn in dem oberen Querbalken der Tür waren die Worte eingegraben:
    „Dies Häuschen steht in Gottes Hand,
Drum ist's auch noch nicht abgebrannt.“
    Jetzt wohnte der Kohlenbrenner Hendschel mit seiner Frau darin – ganz allein, wie man in der Umgegend meinte; wer aber Gesicht und Gehör besaß, so scharf, daß es durch den Buchenzaun zu dringen vermochte, der hätte bald erfahren, daß es hier auch noch andere Leute gebe.
    Die Sonne war untergegangen. Im freien Feld war es gewiß noch leidlich hell; hier aber unter den riesigen Tannen und Fichten lag bereits das Dunkel der Nacht ausgebreitet. In dem Stübchen erklangen blecherne Löffel – die Abendsuppe wurde verzehrt.
    Drei Männer und eine Frau saßen am Tische. Der eine der Männer war der Köhler; die beiden anderen wohnten zu Gast bei ihm.
    Als die Suppe zu Ende war, griff der Köhler über die Tür, langte ein altes, abgegriffenes Buch herab und sagte:
    „Ist der Leib satt geworden, so soll auch die Seele nicht hungern. Mutter, lies den Abendsegen!“
    Die Alte setzte die Hornbrille auf die Nase, schlug das Buch auf und begann:
    „Der lieben Sonne Licht und Pracht
Hat nun den Lauf vollführet:
Die Welt hat sich zur Ruh gemacht;
Tu', Seel', was Dir gebühret!
Tritt an die Himmelstür,
Und bring ein Lied herfür;
Laß deine Augen, Herz und Sinn
Auf Jesum sein gerichtet hin!“
    Der eine der beiden Gäste ließ ein Räuspern vernehmen, welches nicht zu der Stimmung der Alten paßte. Sie sah in forschend an und flüsterte: „Gefällt Ihnen das Lied nicht?“
    „Oh, es ist sehr gut, sehr gut!“ beeilte er sich zu antworten. Aber seine Stimme klang kalt, vielleicht sogar ein wenig spöttisch. Glücklicherweise bemerkte die Leserin dies nicht. Sie fuhr fort:
    „Ihr Höllengeister, packet euch!
Hier habt ihr nichts zu schaffen.
Dies Haus gehört in Jesu Reich;
Laßt es nur sicher schlafen!
Der Engel starke Wacht
Hat es in guter Acht;
Ihr Heer und Lager hält's in Schutz;
Drum sei auch allen Teufeln Trutz!“
    Da erklang das Räuspern abermals. Mutter Hendschel blickte den Gast über die Brille hinweg an und fragte:
    „Sie glauben wohl nicht an den Teufel?“
    „Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht“, antwortete er. „Aber so schlimm, wie es hier im Buch gemacht wird, ist es mit den Höllengeistern doch nicht!“
    „Gott behüte uns vor ihnen, mögen sie nun zu uns kommen als Geister oder in Menschengestalt!“ Sie las weiter:
    „So will ich denn nun schlafen ein,
Jesu, in deinen Armen.
Dein Ang'sicht soll mein Bette sein,
Mein Lager dein Erbarmen,
Mein Kissen deine Brust,
Mein Traum die süße Lust,
Die aus der Seiten Wunde fleußt,
Und dein' Geist in mein Herze geußt!“
    Jetzt erhob er sich von seinem harten Stuhl, hustete laut und sagte:
    „Ihr habt wohl noch nie ein anderes Gedichtbuch in Euren Händen gehabt?“
    „Nein“, antwortete die Alte aufrichtig.
    „So ist es Euch auch nicht übelzunehmen, daß Ihr an solchem Unsinn Geschmack findet. Wer keine Ananas gegessen hat, dem mögen die Erdäpfel schmecken; mir aber bekommen sie nicht.“
    „Ich weiß nicht, was eine Ananas ist; aber wer weiß, ob sie so sättigt wie unsere Erdäpfel.“
    „Ja, Ihr wißt es eben nicht anders. Ihr seid Christen und führt doch ein wahres Heidenleben. Gute Nacht!“
    Er ging hinaus und schlug die Tür ziemlich laut zu. Dann hörte man ihn durch die Haustür in das Freie gehen. Mutter Hendschel sah die beiden Männer einen nach dem andern an, dann unterbrach sie die eingetretene, unangenehme Stille:
    „Vater, soll es so länger fortgehen? Willst du mit dem Vetter reden, oder soll ich es tun?“
    Der Köhler nickte nachdenklich mit dem Kopf und antwortete: „Ich werde es wohl tun müssen, denn diese Sache ist Männersache.“
    Und sich zu dem andern wendend, fragte er:
    „Kannst du mir wohl sagen, Vetter, wer hier Herr in diesem Hause ist?“
    „Doch du!“
    „Das habe ich immer gedacht; jetzt aber scheint es anders geworden zu sein. Schau, ich habe mit

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