64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Achsel.
„Die Tochter eines Zuchthäuslers zu lieben!“
„Sie kann nichts dafür!“
„Ah! Was hat er getan?“
„Unterschlagung.“
„Pfui Teufel! Seinen Prinzipal betrogen?“
„Ja.“
„Nun schweig, schweig! Ich mag nichts mehr wissen.“
„Und doch muß ich euch noch eins mitteilen.“
„Was denn noch?“
„Etwas noch schlimmeres.“
„Als Zuchthaus?“
„Ja.“
„Das könnte doch nur –“
Er hielt inne, indem er einen Blick auf die Freifrau warf.
„Sprich es aus!“ bat sein Sohn, indem er ihm kalt und ruhig in das Auge blickte.
„Schlimmer als das Zuchthaus gibt es nur eins.“
„Nenne es!“
„Das Haus der verlorenen Schamhaftigkeit, der für einen jeden käuflichen Zärtlichkeit.“
„Das meine ich.“
„Kerl, was willst du sagen? Ich verstehe dich nicht.“
„Ich will sagen, daß sie in einem solchen Haus gewesen ist.“
Da fuhren beide, Vater und Mutter, von ihren Stühlen auf. Die letztere stieß einen Wehruf aus, der erstere aber sagte:
„Jetzt muß ich annehmen, daß du verrückt geworden bist.“
„Sehe ich etwa wie ein Verrückter aus?“
„Beinahe!“
Der Freiherr war kein hervorragender Menschenkenner, aber doch merkte er, daß sich hinter der scheinbaren Ruhe seines Sohnes etwas ganz anderes verbarg. Auch die Mutter blickte bestürzt und mit sichtlicher, ängstlicher Besorgnis in das bleiche Gesicht ihres Sohnes. Sie legte ihm die Hand auf die mit Schweißperlen bedeckte Stirn und fuhr erschrocken zurück.
„Edmund!“ fuhr sie auf. „Du bist krank!“
„Nein, Mutter, nein.“
„Aber deine Stirn ist wie Eis!“
„Nur für diesen Augenblick. Sei ruhig. Es geht vorüber. Aber ihr werdet nun glauben, daß ich einsam bleiben und niemals an eine Verbindung denken werde.“
Der Freiherr wußte nicht, ob er fluchen, zanken, lachen oder weinen sollte. Er rannte erregt hin und her und sagte dabei:
„So ein Geburtstag! Ich bin an dem Jungen vollständig irre geworden! Mensch, mußt du dich denn gerade in die Tochter eines Zuchthäuslers verlieben?“
„Ich trage keine Schuld.“
„In ein Mädchen, welches gar in einem solchen Haus gewesen ist! Das ist doch mehr als stark!“
„Und dennoch kann ich es nicht ändern. Ich bin nicht allmächtig. Wenn die Sonne scheint, kann kein Mensch ihrem Strahl gebieten, daß er wegbleibe!“
„Aber einen Sonnenschirm kann man aufspannen! Wie hast du dieses Frauenzimmer denn kennengelernt?“
„Eben in jenem Haus.“
„Mensch, sage nein, sage nein!“
„Ja.“
„So bist du dort gewesen?“
„Ja.“
„Alle tausend Teufel! In solchen Häusern läufst du herum, du mein Sohn, ein Randau!“
„Es ist ein allereinziges Mal geschehen und da wurde ich von meinen Kameraden dazu gezwungen. Ich hatte mein Wort gegeben, mit ihnen zu gehen, ohne daß ich wußte, wohin sie gehen wollten. Der Hagenau hatte es entriert.“
„Der? Hole ihn der Teufel! Aber wenn du dein Wort gegeben hattest, so mußtest du es halten, das ist wahr. Doch hoffe ich, daß ich dich nicht verachten muß!“
„Nein. Ich habe da ganz im Gegenteil Gelegenheit gefunden, drei arme, unschuldige Kinder, welche man mit Gewalt unglücklich machen wollte, zu befreien und den ihrigen zurückzugeben.“
„Ah, brav! Und da war sie dabei?“
„Ja.“
„Hm! Wie im Roman. Man rettet ein Mädchen und verliebt sich in sie. War sie schön?“
„Wie ein Engel.“
„Redensart!“
„Vater, ich wette mein Leben, daß du an meiner Stelle auch nicht anders gefühlt und gehandelt hättest!“
„Danke für gütige Beurteilung! Der Zuchthäusler hat also seine Tochter wieder?“
„Ja. Der Vollständigkeit wegen will ich dir sagen, daß er unschuldig verurteilt worden ist.“
„Ah, was du nicht alles weißt!“
„Er ist vor kurzem freigesprochen und dabei für unschuldig erklärt worden!“
„Nachdem er seine Strafe abgesessen hat?“
„Ja. Nur während seiner Gefangenschaft war es möglich, daß ein Menschenhändler sich seiner Tochter bemächtigen konnte. Sie glaubte, eine ehrenvolle Stellung zu erhalten und merkte erst, als die Riegel hinter ihr klirrten, daß sie betrogen worden sei.“
„Satan! Solche Sachen passieren?“
„Ja. Ich will dir Namen nennen. Kennst du vielleicht den armen, aber braven Holzschnitzer Weber drüben in Langenstadt?“
„Natürlich. Er kauft mir mein Obst ab, um sich damit seinen Unterhalt zu verdienen. Schnitzen kann er nicht mehr.“
„Nun, dessen Tochter war unter den dreien.“
„Etwa gar
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