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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eigentümliche Anfall von Tiefsinn so plötzlich vorübergegangen war.
    Aber der Instinkt einer liebenden Mutter blickt tiefer als der Scharfsinn eines denkenden Mannes. Bei der ersten Gelegenheit, als sie sich mit dem Leutnant allein befand, ergriff sie seine Hand und sagte:
    „Darf ich wohl eine Frage an dich richten, lieber Edmund?“
    „Tue es, liebe Mutter!“
    „Woher kam es, daß du vorhin so plötzlich deine Traurigkeit vergessen konntest?“
    Er antwortete errötend:
    „Muß ich dir das mitteilen?“
    „Nun, ich will nicht gewaltsam in dich dringen. Ich gestehe dir, daß mich eine plötzliche Angst um dich überkommen war. Ich hatte dich noch niemals so gesehen.“
    „Es ist überwunden.“
    „Aber hoffnungslos vorüber?“
    „Weißt du, Gott ist die Liebe. Wenn er eine solche Welt von Liebe in ein Menschenherz legt, so kann er nicht wollen, daß dieses Herz daran zugrunde geht.“
    „So hast du also noch Hoffnung?“
    „Ich wage es, sie noch zu hegen.“
    „Aber vorhin hegtest du sie nicht. Erst als Vater von den drei Passagieren sprach, wurde eine andere Stimmung Herr über dich. Errate ich recht?“
    „Vielleicht. Doch lassen wir das jetzt! Es wird und mag so kommen, wie Gott es will.“
    Sie drückte einen Kuß auf seine Stirn und sagte andächtig:
    „Er wird es zum Besten lenken. Amen!“ –
    Nicht nur der Leutnant von Randau und die erwähnten drei Passagiere befanden sich am heutigen Tag in dieser Gegend, sondern zwei andere wurden auch ganz unerwartet nach dem kleinen Städtchen geführt.
    Nämlich Doktor Zander hatte sich bald in der Residenz bekannt und gesucht gemacht. Einige glückliche Kuren und sein Umgang mit dem Fürsten von Befour und dessen Freunden waren ihm außerordentlich förderlich gewesen. Er besaß eine schöne Wohnung und trug sich sogar mit dem Gedanken, sich eine Equipage anzuschaffen.
    Heute war er ungewöhnlich früh ausgegangen, und da es zufälligerweise keinen schweren Fall zu behandeln gab, so war er mit seiner Runde viel eher als gewöhnlich zu Ende, und er schlenderte gemächlich über die Anlagen dahin, welche den Bahnhof von der Stadt trennten.
    Da sah er eine Person daherkommen, bei deren Anblick sein bisher nachdenklich nach innen gerichteter Blick schnell äußeres Leben bekam – Magda Weber war es.
    Sie hatte eine Reisetasche in der Hand und grüßte errötend, als sie ihn erblickte. Er trat auf sie zu, reichte ihr die Hand und fragte:
    „Sieht das nicht gerade aus, als ob Sie verreisen wollten?“
    „Ja, Herr Doktor.“
    „Wohin?“
    „Nach Langenstadt.“
    „Ist da oben etwas passiert? Ich hoffe, nichts Unangenehmes!“
    „Nein. Ich erhielt heute eine Depesche –“
    „Eine Depesche? Sie?“ fragte er überrascht.
    „Ja.“
    „So ist es am Ende doch etwas Ungutes. Wer telegraphierte?“
    „Der Vater. Die Worte lauten: ‚Komm sofort zu Besuch, sobald du dies empfängst.‘ Das klingt doch nicht wie ein Unglück?“
    „Allerdings nicht. Übrigens trifft es sich recht glücklich, daß auch ich verreise.“
    Sie blickte ihn fragend und ungewiß an; darum fuhr er, ihr freundlich zunickend, fort:
    „Und zwar auch nach Langenstadt.“
    „Oh, wie schön!“
    Aber sofort färbten sich ihre Wangen purpurn. Sie fühlte, daß sie das nicht hätte sagen sollen.
    „Wirklich? Finden Sie das schön?“ fragte er.
    Sie erglühte noch tiefer, antwortete aber nicht.
    Er hatte nicht die geringste Absicht gehabt, zu verreisen. Der Entschluß war ihm wie eine Eingebung gekommen. Das liebliche Mädchen stand nicht nur vor ihm, sondern sie wohnte auch tief, tief in seinem Herzen.
    „Hoffentlich erlauben Sie mir, Ihr Billet mit dem meinigen zu lösen, Fräulein Weber?“ fragte er.
    Ein leises, schüchternes „Ja“ war die Antwort.
    Dann, als es Zeit zum Einsteigen war, führte er sie in ein Coupé erster Klasse. Ein Trinkgeld sagte dem Schaffner, daß er dieses Coupé möglichst mit anderen Passagieren verschonen möge; dann setzte sich der Zug in Bewegung.
    Eine kurze Zeitlang saßen sie schweigend nebeneinander, sie mit niedergeschlagenen Wimpern und er das Auge voll und warm auf ihr schönes, rosiges Gesichtchen gerichtet. Er hätte sie gleich küssen mögen.
    „Fürchten Sie sich vor mir?“ fragte er endlich.
    Da schlug sie die Augen auf, lächelte ihm warm entgegen und antwortete:
    „Wie sollte ich! Sie haben mir ja nichts getan.“
    „Aber dennoch fliehen Sie mich?“
    „Ich?“
    Diese Frage klang doch ein wenig verlegen.
    „Ja, Sie!

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