64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
der Jüngste bin! Ehe Kurt das Alter hätte, für mich einzutreten, würde ich mir die Knochen hohl gearbeitet haben. Ich bedarf viel eher der Ablösung. Du bist zwar an die Geselligkeit der Garnison gewöhnt, das wirst du vermissen; aber wer verbietet dir denn, dich zu erheitern, wenn es dir überhaupt beliebt, lustig zu sein.“
„Vater, ich habe diese Geselligkeit weniger genossen, als du vielleicht denkst. Der Dienst und meine Bücher standen mir viel höher, als solche Zerstreuungen.“
„Und doch“, bemerkte die Mutter, „bedenke, wie spät du als Offizier an eine Selbständigkeit, an einen eigenen Herd denken kannst?“
„Aha“, lachte er fröhlich auf. „Jetzt kommt es!“
„Was?“
„Das Lieblingswerk der Mütter, überhaupt aller Frauen. Soll ich heiraten, Mutter?“
„Warum nicht?“
„Hast du ‚Eine‘ für mich?“
„Sogar viele“, stimmte sie lustig ein.
„Zähle sie auf!“
„Das ist nicht nötig. Sieh dich nur um! Du kannst ja wählen, lieber Edmund.“
„Das kann ich nicht.“
„Ah! Warum nicht?“
„Weil mein Schicksal bereits entschieden ist: Ich werde mich niemals verheiraten!“
„Du scherzest.“
„Es ist mein Ernst.“
„Papperlapapp!“ sagte der Freiherr. „So sagt ein jeder, der noch nicht angebissen hat. Ich war auch so. Jetzt aber meine ich, daß es die allergrößte Dummheit auf Erden ist, ohne Weib zu bleiben.“
Edmund war ernst geworden. Er blickte still vor sich nieder, sah Vater und Mutter mit einem Blick an, den sie noch nie bei ihm bemerkt hatten, und sagte:
„Ich spreche im vollen Ernst. Ich bleibe ledig.“
„Mein Gott, lieber Edmund, hast du denn einen stichhaltigen Grund dazu?“
„Ja.“
„Darf man ihn erfahren?“
Er kämpfte mit sich selbst. Man sah, es wurde ihm sehr schwer, endlich sagte er:
„Ja, ihr sollt ihn erfahren. Heute ist nicht nur Vaters Geburtstag, sondern es ist überhaupt ein wichtiger Tag, welcher über Kurts Zukunft und auch über die meinige entschieden hat. Da will ich einmal von dieser Angelegenheit sprechen, die ich nie erwähnen wollte, heute das erste, aber auch das letzte Mal.“
Die Mutter blickte angstvoll zu ihm herüber. Sie legte wie betend die Hände zusammen und fragte:
„Edmund, du liebst?“
„Ja, Mutter.“
„Eine Unwürdige?“
„Nein.“
„Das Weib eines anderen?“
„Auch nicht. So ein Wahnsinn wäre bei mir ja überhaupt eine absolute Unmöglichkeit.“
„Also ein Mädchen doch?“
„Ja.“
„Und sie liebt dich nicht wider?“
„Vielleicht doch, liebe Mutter.“
„Aber dann begreife ich nicht, warum diese Liebe eine unglückliche sein soll!“
„Sie ist eine unglückliche, weil ihr niemals eure Einwilligung geben würdet.“
„So denkst du von uns!“
„Ja.“
„Wie wir dich aber kennen, würdest du uns nur eine Dame bringen, welche wir mit Freuden als Tochter begrüßen könnten.“
„Das ist wahr. Aber weil ihr dies in diesem Fall nicht tun würdet, werde ich sie euch eben nicht bringen.“
„So sage uns den Grund! Wir sind dir dankbar für deine Offenheit. Nicht einmal Eltern haben das Recht, in solche Geheimnisse ihrer Kinder einzudringen. Da du uns aber selbst dein Herz öffnest, so bitte ich dich, uns lieber ganz klar sehen zu lassen.“
„Das sollt ihr, obgleich es mir unendlich schwer fällt, mir diese Wunde noch tiefer in das Herz zu treiben.“
„Also bitte, welcher unglückliche Umstand herrscht hier vor?“
„Sie ist bürgerlich.“
„Sapperment!“ meinte der Freiherr.
Er liebte seinen Stammbaum, obgleich er nicht etwa einen starren Ahnenstolz besaß. Seine Frau machte eine abwehrende, begütigende Handbewegung und sagte:
„Man schreitet allerdings lieber eine Stufe hinauf als hinab, aber Beispiele, daß die Tochter eines bürgerlichen Hauses sich gern und gut mit den Ahnen des Mannes in die Reihe stellen konnte, sind jetzt gar nicht mehr selten!“
„Ich danke, liebe Mutter! Wäre es nur das eine, so würde ich keine Sorgen haben.“
„Also gibt es noch etwas?“
„Ja. Sie ist die Tochter eines Zuchthäuslers.“
„Herr, mein Gott!“
Die Freifrau war vor Schreck leichenblaß geworden. Sie kannte ihren Sohn. Sie wußte, daß er nur ein einziges Mal lieben werde. Jetzt nun war es mit seinem Lebensglück zu Ende; das sah sie ein. Während nun sie nur daran dachte, daß ihr Sohn elend und unglücklich sei, dachte der Freiherr nur an die Schande. Er fuhr auf:
„Mensch, bist du toll!“
Edmund zuckte wortlos die
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