64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Magda.“
„Ich soll es glauben? Es darf so sein und bleiben?“
„Immer, immer und ohne Ende!“
„Alfred, mein lieber, lieber Alfred!“
Das rief sie laut und jubelnd aus. Jetzt warf sie die Arme um ihn, schmiegte sich an seine Brust und küßte ihn warm und innig, als ob das stets und immer so gewesen sei.
Wie kam es doch nur, daß der Schaffner so plötzlich die Tür öffnete und sein „Station Langenstadt, drei Minuten Aufenthalt!“ rief? Es war ja ganz unmöglich, schon Langenstadt erreicht zu haben. Aber als die beiden herausblickten, erkannten sie die alten, guten Häuser des Städtchens.
Und dort stand Vater Weber und sah sich nach seiner Tochter um. Er hatte freilich nur die Waggons vierter und höchstens dritter Klasse im Auge. Da hörte er sich rufen, und als er nach der Stelle hinblickte, stand ein junger, vornehmer Herr an der Coupétür und winkte ihm. Er ging hin und fragte:
„Was befehlen Sie, gnädiger Herr?“
„Wen suchen Sie?“
„Meine Tochter.“
„Kennen Sie mich?“
Jetzt sah er ihn schärfer an, dann riß er die Mütze herunter und sagte:
„Herr Doktor Zander! Ist's möglich! Wie freue ich mich! Ach, wenn doch nur meine Tochter auch gekommen wäre!“
„Die konnte nicht kommen; dafür aber habe ich Ihnen meine Verlobte mitgebracht.“
„Ihre Verlobte?“
Dabei machte er ein Gesicht, in welchem tausend Verwunderungen zu lesen waren.
„Ja“, sagte Zander. „Da, sehen Sie herein!“
Er trat zur Seite, und da erglühte dem Vater das glück- und wonnestrahlende Gesicht seines Kindes entgegen.
„Magda! Du! Erster Klasse!“
„Oh, Alfred ist das so gewohnt. Er fährt nicht anderer Klasse.“
Jetzt kam der Name so geläufig heraus, als hätte sie es seit Jahrzehnten nicht anders gewußt.
„Alfred? Wer ist das?“
„Nun, hier Alfred, mein Gelieb – mein Verlobter.“
„Ach so! Kinder, mir wird ganz dumm zumute. Mir brummt der Kopf. Magda – erster Klasse – Alfred – Verlobter –“
„Bitte, heraus, meine Herrschaften!“ rief der Schaffner.
Die Türen flogen zu; ein schrilles Pfeifen, ein dröhnendes Rasseln – der Zug eilte weiter. Aber der gute Papa Weber stand noch immer da und staunte die beiden an.
„Sie machen doch bloß Spaß, Herr Doktor?“ fragte er.
„Da sei Gott für! Es ist mein heiligster Ernst.“
„Auf Ehre?“
„Auf Ehre!“ wiederholte Zander lächelnd.
„Dann glaube ich es; dann ist es wahr. Herrgott von Mannheim! Meine Magda eine Frau Doktorin! Na, Kinder, kommt mit nach Hause! Ich wollte gerade Kartoffelbrei kochen, mit Rindstalggriefen dran, da aber die Sachen so glanzvoll stehen, so kommen eben Speckgriefen dran. Ich kann auch nobel sein, wenn es nötig ist!“
Und als nun Zander der Geliebten seinen Arm bot, da häkelte sie ein und ging so sicher und stolz an seiner Seite, als ob sie schon zehn Jahre lang in dieser Weise mit ihrem Doktor gegangen sei.
SIEBENTES KAPITEL
Gejagt
Gegen Abend fuhr der Freiherr von Randau mit Frau und Sohn nach Schloß Langenstadt. Die Beisetzung der beiden Toten sollte nach Einbruch der Dunkelheit stattfinden. Als sie im Schloßhof, von einem Diener empfangen, ausstiegen, eilte der Hausverwalter herbei und sagte in entschuldigendem Ton:
„Verzeihung, meine Herrschaften, daß der Herr Anstaltsdirektor, Hauptmann von Scharfenberg, noch nicht zu sprechen ist. Er wird vom Notar festgehalten und läßt bitten, sich nach den gewohnten Zimmern zu verfügen!“
Die Familie Randau wurde hier stets nachbarlich behandelt. Jedes Glied derselben hatte für den eventuellen Aufenthalt hier sein bestimmtes Zimmer. Der Freiherr gab also seiner Frau den Arm und sagte:
„Du kommst vielleicht mit zu mir. Eduard mag über sich nach eigenem Gefallen verfügen.“
Der Leutnant schritt also an der Hauptfront entlang, bog um die Ecke und trat dort in ein Vestibül, von welchem aus eine Steintreppe nach oben führte. Dort lag das Zimmer nebst Kabinett, welches ihm für gewöhnlich angewiesen war.
Der Schlüssel steckte bereits. Er trat ein. Es war ihm, als ob ihm ein feiner, äußerst lieblicher Duft entgegenströmte. Er blickte sich um.
„Ganz wie Treibhausblumen, ah! Aber wo? Vielleicht draußen im Kabinett!“
Er sog den Duft ein. Es war wie Veilchen und Reseda. Er öffnete die Tür zum Kabinett und trat da hinaus, die Tür hinter sich schließend. Da erblickte er zu seinem Erstaunen mehrere Damengarderobestücke auf dem Bett liegen und – ein Knack, die Vorhangstange fiel herab, und vor
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