64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Wissen Sie vielleicht, daß ich jetzt sehr oft die Baronesse Alma von Helfenstein besuche?“
„Ja.“
„Sie hat die Güte gehabt, mich zu ihrem Hausarzt zu ernennen. Ich habe geglaubt, daß Sie sich bei ihr befinden.“
„Das ist auch der Fall.“
„Und doch sehe ich Sie nicht!“
Sie senkte errötend das Köpfchen. Er fuhr fort:
„Muß ich da nicht denken, daß Sie mich fürchten?“
„Nein.“
„Oder gar mich hassen?“
„O Gott, was denken Sie!“
„Dann bitte, legen Sie doch einmal Ihr liebes, kleines Händchen in meine Hand! Ich will sehen, ob Sie das wagen.“
Sie gab ihm ohne Zögern die Hand und schlug dabei die Augen mit einem Blick zu ihm auf, welcher schalkhaft sagte: Siehst du, daß ich es wage!
„Ich danke Ihnen, Fräulein Weber – oder, wir sind ja Bekannte und haben uns die Kirschen durch den Gartenzaun zugesteckt – darf ich nicht lieber sagen Magda?“
„Ja, sagen Sie so!“
„Aber dann müssen Sie auch mich bei meinem Vornamen rufen!“
„O nein!“
„O doch! Kennen Sie ihn?“
„Nein.“
Das war eine kleine Lüge. Sie kannte ihn nur zu gut. Sie hatte ihn hundert- und tausendmal im stillen vor sich hin gesagt, und es war ihr immer dabei gewesen, als ob dies der schönste aller Männernamen sei.
Da legte er seinen Finger unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht empor und sagte:
„O weh, Sie verleugnen mich! Bitte, bitte, sagen Sie mir aufrichtig, ob Sie meinen Namen wissen!“
„Ja“, gestand sie zögernd.
„Wie heißt er?“
„Alfred.“
„Endlich, endlich! Und jetzt meine liebe Magda, bitte, sagen Sie doch einmal nicht Alfred, sondern: lieber Alfred!“
„Das – das kann ich nicht.“
„Aber wenn ich Sie recht innig darum bitte?“
„Ich – kann nicht; es – geht nicht, nein!“ stammelte sie. Und dabei erglühte ihr Gesicht wie eine Wolke, hinter welcher die Sonne in all ihrer Pracht und Herrlichkeit steht.
„Es geht nicht!“ wiederholte er. „Also gar nicht?“
„Nein.“
„O das ist bös; das ist schlimm, sehr schlimm!“
Und als sie ihn erschrocken ansah, fuhr er fort:
„Ich habe Sie so lieb, so herzlich, so innig lieb. Ich habe an Sie gedacht immer und immerfort. Und nun wird es Ihnen so schwer, sogar unmöglich, dieses kleine Wörtchen zu sagen! Wissen Sie noch, daß ich Ihnen meinen Pelz in das Coupé gab, damit Sie nicht frieren sollten?“
„Ja“, hauchte sie.
„So, geradeso möchte ich Sie behüten und beschützen fort und immerfort. So möchte ich Sie umhüllen und umfangen und durch das ganze Leben tragen, damit Ihr kleines Füßchen nicht an einen Stein stoße. So möchte ich Ihr Hut und Ihr Schutz sein für jetzt und alle Zeit. Und dafür, dachte ich, solle mir das Licht Ihres Auges leuchten in Liebe, Milde und Freundlichkeit, denn mein Herz verlangt nach Liebe, aber nur nach der Ihrigen, ganz allein nach dieser!“
Er hatte den Arm um sie gelegt und sie an sich gezogen. Sie litt es ohne Widerstreben; sie hielt ihr Köpfchen an seine Brust geborgen, und er hörte ein kleines, leises Klingen, als ob ein Kindchen weine.
Da hob er ihr Gesicht empor, blickte ihr tief in die tränenden Augen, und als sie diese schloß, legte er seine Lippen leise, leise auf ihren Mund. Sie bewegte sich nicht; sie ließ ihm den Mund ohne Gegendruck, und er sah, daß ihr Gesicht leichenblaß war.
Das erschreckte ihn. Er fragte:
„Magda, was ist Ihnen? Zürnen Sie mir?“
Sie schüttelte leise mit dem Kopf.
„Warum erbleichen Sie? Sind Sie krank?“
Da kehrte die Röte in ihre Wangen zurück. Sie sah mit einem Blick unaussprechlichen Entzückens zu ihm auf und antwortete:
„O nein. Mir ist so wohl!“
„Gott sei Dank!“
„Nun möchte ich sterben!“
„Sterben? Weg, fort mit diesem Wort! Leben sollst du, leben mit mir und für mich, denn ohne dich kann und mag ich doch nicht sein!“
„Wie schön! Wie herrlich!“ flüsterte sie, die kleinen Händchen faltend. „Aber das geht nicht, das kann nicht sein.“
„Warum nicht?“
„Was sind Sie, und – was, ach was bin ich!“
„Du? Was du bist? Mein Leben bist du, mein Glück meine Seligkeit! Ist das nicht genug?“
Und jetzt zog er sie kräftig an sich; jetzt küßte er sie innig, wieder und immer wieder. Und als er ihre Arme hob und sie sich auf die Schulter legte, da fühlte er deutlich, daß sie diese Arme fest um seinen Hals schlang. Dann aber fragte sie bebend:
„Ist das Wirklichkeit? Ist das kein Traum?“
„Nein, es ist keine Täuschung, meine
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