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64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte

Titel: 64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihm, fest an die Wand gedrückt, stand Fräulein Petermann.
    Sie hatte seine Schritte gehört und sich hinter die Gardine gesteckt, denn sie hatte im Begriff gestanden, ihre Toilette zu wechseln. Sie befand sich im bloßen Mieder und streckte ihm abwehrend die Hände entgegen, konnte aber vor Schreck und Scham kein Wort hervorbringen.
    Auch Edmund war für den Augenblick bewegungslos. Er dachte gar nicht daran, daß es seine Pflicht sei, sich schleunigst zu entfernen. Er sah das schöne Mädchen vor sich, mit lang herabwallender Robe; die herrliche Büste hob sich wie Alabaster aus dem dunklen Leibchen, und die vollen, prächtigen Arme schienen ihn anzulocken, anstatt ihn fortzustoßen.
    „Valeska!“
    „Gott! Gehen Sie!“ stammelte sie.
    Da holte er tief, tief Atem, schüttelte langsam den Kopf und antwortete:
    „Das kann ich nicht und das darf ich nicht!“
    „Sie müssen! Sie müssen!“
    „Nein, und abermals nein!“
    Er trat auf sie zu und faßte ihre Hände. Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf an die Wand, bleich wie eine Leiche.
    „Gott, o Gott!“ flüsterte sie. „Auch er, auch er!“
    Er verstand sie augenblicklich. Er antwortete:
    „Nein, beurteilen Sie mich nicht nach dem Maßstab anderer. Valeska, ich habe Sie nun doch gesehen. Was würde durch meine Entfernung daran geändert. Es ist besser, ich bleibe und gebe Ihnen die beste und einzige Genugtuung, welche möglich ist.“
    „O nein, o nein!“
    „Sie bangen noch immer? Ah, Sie haben mich zwar in jenem Haus gesehen, aber ich kam gezwungen hin. Lassen Sie diesen Schatten nicht auf mir ruhen bleiben. Valeska, hören Sie! Seit jenem Abend habe ich an Sie denken müssen ohne Unterlaß. Ich habe mit meinem Herzen gekämpft, tapfer und unverdrossen; doch das Herz ist stärker gewesen, als ich selbst. Es will Ihnen gehören für jetzt und immerdar. Ich kann nicht widerstreben und will auch nicht länger widerstreben! Sagen Sie mir, ob ich an dieser Liebe, welche wie eine übermächtige Lohe über mir zusammengeschlagen ist, zugrunde gehen soll oder nicht.“
    Da öffnete sie die Augen, blickte ihm starr in das erregte Angesicht, riß ihre Hände aus den seinigen, zeigte nach der Tür und rief:
    „Hinaus! Sofort!“
    Da ließ er langsam die Arme sinken und sagte:
    „Ich gehorche Ihnen. Leben Sie wohl!“
    Er drehte sich um und schritt nach der Tür. Er hatte sie geöffnet und bereits den Fuß erhoben, da erklang hinter ihm ein eigentümlicher, unartikulierter Laut. Er sah sie wanken. Im Nu stand er bei ihr und fing sie in seinen Armen auf.
    Sie lag regungslos, wie ohnmächtig an seiner Brust. Er fühlte die Wärme ihres entzückenden Busens, den langsamen Hauch ihres Mundes, aber er bewegte sich nicht. Es trieb ihn, sie emporzuheben und auf das Bett zu legen, aber er verschmähte es, sie weiter zu berühren, als unumgänglich notwendig war, ihr einen Halt zu bieten.
    So stand er lange, still und mit keinem Finger zuckend. Da stieß sie einen tiefen, tiefen Seufzer aus, hob das Auge wie irre zu ihm empor, schlang den einen Arm um seinen Leib, ergriff mit der Linken seine Hand, zog sie an ihre Lippen und küßte sie zwei-, dreimal, ehe er es hindern konnte. Dann floh sie dorthin, wo ihr Mantel lag, warf ihn über sich und sagte in flehendem Ton:
    „Herr von Randau, Sie haben mich gerettet aus schwerer Schmach und Schande; nie werde ich es Ihnen vergessen, jetzt aber habe ich Ihnen alles, alles gegeben, was ich Ihnen geben darf. Bitte, lassen Sie mich allein! Ich hatte keine Ahnung von Ihrer Anwesenheit und daß Ihnen mein Zimmer bekannt ist!“
    „Gut, ich gehe; vorher aber muß ich Ihnen den Irrtum, als ob ich Sie aufgesucht hätte, benehmen. Dieses Zimmer pflege ich zu bewohnen. Soeben erst bin ich hier angekommen und wurde, wie ich nun merke, irrtümlicherweise hierhergewiesen. Ich kann Ihnen nicht verbieten, dankbar zu sein; aber Ihr Dank macht mich ärmer, als ich vorher gewesen bin. Ich habe Sie geliebt, wie man ein Idol verehrt; ich habe geträumt von Seligkeiten, eines Himmels wert; ich dachte mir kein größeres Glück, als Ihnen mein Fühlen, Denken und Wollen, mein ganzes Leben widmen und weihen zu dürfen. Ich wollte mich in Sie versenken mit Seele und Gemüt; ich wollte in meiner Liebe aufgehen, wie das Himmelsblau in Äther aufgeht. Meine Liebe war rein und heilig. Sie wären mein Ein und mein Alles, mein Anfang und mein Ende gewesen, jeder Pulsschlag, jeder Atemzug hätte Ihnen, Ihnen und immer allein nur Ihnen gegolten –

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