64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
Entweder will er sie befreien, oder er hat noch Schlimmeres vor. Auf alle Fälle werden wir ihn dabei ergreifen. Das ist besser, als wenn wir ihn jetzt fassen und dann gar kein Material gegen ihn in den Händen haben.“
„Sie sind kühn! Sie wagen –“
„Oh bitte, bitte!“ unterbrach ihn der Fürst. „Wenn wir noch länger verhandeln, geht mir der Mann unterdessen davon. Also vertrauen Sie mir die Liste an?“
„Sie verantworten es?“
„Ja.“
„So steht sie zu Ihrer Verfügung.“
„Danke!“
Er brach die Liste zusammen, steckte sie in die Tasche und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. Da aber ergriff ihn der Staatsanwalt am Arm und sagte:
„Halt! Sie werden doch nicht so gehen!“
„Warum nicht?“
„Ohne Hut und als – als Gustav Brandt!“
„Warum nicht? Als Fürst von Befour darf ich keinesfalls hinab. Da würde mich dieser Mensch jedenfalls kennen, und ich könnte ihn nicht übertölpeln.“
Er ging.
Als er unten aus dem Tor trat, sah er, daß der Agent noch immer drüben an der Tür stand. Er blieb eine kurze Zeit lang stehen, um merken zu lassen, daß er aus dem Gerichtsgebäude komme, ging dann langsamen Schritts über die Straße hinüber, grüßte kurz, trat in die Restauration und ließ sich etwas zu trinken geben.
Es war kein Gast anwesend außer dem Agenten, welcher baldigst auch in die Stube trat.
Der Fürst hatte sich an den Tisch gesetzt, auf welchem das Glas dieses einen Gastes stand. Als dieser nun herbeikam, sagte er im Ton höflicher Entschuldigung:
„Ah, das ist Ihr Tisch! Verzeihung, daß ich hier Platz genommen habe! Wenn es Ihnen unlieb ist, werde ich –“
„Oh nein, nein! Bleiben Sie immerhin!“ fiel der Agent ein. „Wir haben ja beide Platz.“
Er hatte bemerkt, daß der Fürst aus dem Gerichtsgebäude getreten war. Dies war ihm höchst willkommen. Er nahm sich vor, wenigstens den Versuch zu machen, eine Unterredung anzuknüpfen. Vielleicht gelang es ihm, das zu erfahren, was er so gern wissen wollte.
„Irre ich mich nicht, so kamen Sie drüben aus dem Gericht?“ fragte er.
„Ja, mein Herr.“
„So sind Sie wohl Beamter des Bezirksgerichts?“
„Ja und nein; wie man es nimmt.“
„Das klingt ja eigentümlich!“
„Ist es aber nicht. Ich bin nämlich jetzt Schreiber bei einem Rechtsanwalt gewesen und soll nun beim Gericht angestellt werden. So ist die Sache.“
„Da sind Sie wohl einstweilen zur Probe da?“
„So ist es.“
„Lassen Sie sich Glück wünschen!“
„Danke ergebenst. Es ist ein saures Brot, die Bogenschreiberei. Ein Amtskopist verdient nicht viel.“
„Erhalten Sie nicht Fixum?“
„Vorerst nicht. Ich werde nach dem Bogen bezahlt.“
„So, so! Ich interessiere mich für diese Sache. Ich bin nämlich Privatsekretär.“
„Ah, so sind wir Kollegen!“
„Gewiß!“
„Aber Sie sind besser gestellt!“
„Hm! Es fragt sich, wieviel Sie verdienen.“
„Ich erhalte pro Bogen zehn Kreuzer.“
„Oh weh! Wie viele Bogen können Sie täglich füllen?“
„Vielleicht acht, im höchsten Fall zehn.“
„Da tun Sie mir allerdings leid. Ich stehe mich auf vier Gulden täglich.“
„Dann beneide ich Sie!“
„Und bin nicht so an die Zeit gebunden. Erlauben Sie mir, Ihre Zeche zu übernehmen?“
„Sie sind sehr gütig; aber ich bin nicht in der Lage, so etwas abzuschlagen, wenn es mir auch wohl nicht möglich sein wird, Ihnen dankbar zu sein.“
„Darauf ist es ja gar nicht angefangen. Wir sind ja Kollegen. Wie lange Zeit arbeiten Sie beim Gericht?“
„Seit drei Wochen.“
„So müssen Sie doch bald wissen, ob Ihre Probezeit von Erfolg sein wird?“
„Nächster Tage werde ich es erfahren.“
„Wäre Ihnen eine andere Stelle nicht lieber?“
„Warum nicht, wenn ich besser bezahlt werde!“
„Hm! Ich habe Konnexionen!“
„Ah, wirklich?“
„Ja. Ich habe erst vorgestern einem armen Kollegen eine Anstellung als Expedient verschafft. Wenn er sich Mühe gibt, kann er vielleicht in zwei Jahren Bürochef sein.“
„Sapperment! Welches Glück! Wüßten Sie nicht vielleicht auch etwas für mich?“
„Will einmal sehen. Wie heißen Sie?“
„Richter. Meine Zeugnisse sind gut.“
„Und wo sind Sie zu treffen?“
„Hier in dieser Restauration, täglich um die jetzige Zeit.“
„Schön. Ich werde im Kreis meiner Bekanntschaft einmal Umschau halten und hoffe, daß es mir gelingt, für Sie etwas Besseres und Interessanteres zu finden.“
„Nun, besser wohl, interessanter
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