65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
wagte, ihm ein – ein – ein –“
„Ein Almosen zu geben, wollen Sie sagen?“
„Nein, nein! Ein Almosen möchte ich es keinesfalls nennen. Das wäre eine Beleidigung für Sie.“
„Und doch war's ein Almosen, und beleidigt hat es uns nicht. Sie gaben es freiwillig, Sie waren reich und wir waren arm. Wir hatten nichts zu essen, wir hungerten, und nun konnten wir uns so unerwartet sättigen. Es ist Ihnen noch nicht dafür gedankt worden. Ich muß Ihnen jetzt die Hand geben. Gott mag Ihnen vergelten!“
Sie streckte ihm das kleine Händchen entgegen; er ergriff es und hielt es fest. Er wußte nicht, was er tun und sagen sollte. Es wurde ihm so warm und so weich um das Herz. Am allerliebsten hätte er dieses Händchen geküßt und das Mädchen dazu. Aber, ob sie das wohl gelitten hätte? Und zudem fiel ihm ein, daß ein Oberleutnant und Kavalier doch nicht einem Schustermädchen die Hand küßt. Infolge dieses Gedankenvorgangs entfuhr ihm der Ausruf:
„Sapperment! Ich wollte, ich wäre auch Schuster!“
„Warum?“ fragte sie lächelnd.
„Weil – weil ein Schuster viel eher und viel leichter glücklich sein kann als Unsereiner.“
„Sie mögen in gewisser Beziehung recht haben.“
„Ganz gewiß habe ich recht. Nur mußte auch noch eins viel anders sein.“
„Was?“
„Ich selbst.“
„Sie anders sein? Warum denn wohl?“
„Sehen Sie mich doch an! Mein Gesicht!“
Es war ein aufrichtiges Erstaunen, mit welchem sie ihn anblickte. Sie sagte kopfschüttelnd:
„Ihr Gesicht? Was ist mit demselben?“
„Es ist so häßlich.“
Da lachte sie lustig auf und fragte:
„Sind Sie eitel?“
„Ganz und gar nicht. Auf was oder weswegen sollte ich auch wohl eitel sein.! Es ist doch ganz naturgemäß und ganz menschlich, wenn man nicht gern häßlich sein will.“
„Und Sie meinen wirklich, häßlich zu sein?“
„Ja, natürlich.“
„Sie sind es aber nicht.“
„Oho! Wollen Sie mich auslachen, Fräulein?“
„Das fällt mir nicht ein. Ja, ich weiß, daß andere Leute Sie für häßlich halten –“
„Ah, wissen Sie das? Woher denn wohl?“
„Sie haben uns wohlgetan, darum beschäftige ich mich mit Ihnen. Wenn von Ihnen gesprochen wurde, merkte ich auf. So weiß ich manches, was – was – was ich doch nicht sagen kann.“
„So, so! Auch mir können Sie es nicht sagen?“
„Nein.“
„Wenn ich es nun aber wünsche?“
Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht. Ihr Blick nahm einen eigentümlichen, undefinierbaren, übermächtigen Ausdruck an. Dann antwortete sie wie unter einem schnellen Entschluß:
„Dann würde ich es Ihnen freilich sagen.“
„So bitte! Was wissen Sie?“
„Daß man Sie den Kranich nennt“, antwortete sie, ihm vertraulich entgegen lachend.
„Auch das wissen Sie? Wunderbar! Weiter!“
„Daß Sie gern spielen.“
„Ah! Sapperment!“
„Daß Sie noch lieber wohltun, meist ohne zu fragen, ob der Empfänger der Gabe wert ist.“
„Das ist freilich wahr. Weiter!“
„Daß Sie in neuerer Zeit im Dienst mehrfach Verdruß gehabt haben.“
„Fräulein, sind Sie allwissend?“
„Nein. Ich merke mir aber das, was ich höre, wenn es sich nämlich auf Personen bezieht, für welche ich mich interessiere.“
Er blickte rasch auf. War das Berechnung? Nein. Ihr Auge blickte ihm so aufrichtig, so wahr und so ruhig entgegen. Hier gab es weder Koketterie noch Verstellung.
„So interessieren Sie sich also für mich?“ fragte er.
„Natürlich! Sie sind ja unser Wohltäter. Und wenn das nicht wäre, mußte ich Ihnen doch meine Aufmerksamkeit schenken, da Sie sich für mich interessieren.“
Auch jetzt sprach sie voller Unbefangenheit. Er konnte dies gar nicht begreifen; er fragte:
„Ich mich für Sie? Woher wissen Sie das?“
„Erstens sagte man es mir und zweitens habe ich es ja täglich selbst gesehen. Sie waren nur meinetwegen zur bestimmten Zeit auf der Schillerstraße?“
„Ja“, antwortete er aufrichtig.
„Und folgten mir nur meinetwegen nach dem Hotel?“
„Nur Ihretwegen.“
„Warum das?“
„Weil – weil – Donnerwetter! Wenn ich ein Schuster wäre, so würde ich sagen: Weil ich Sie liebe.“
„Aber da Sie kein Schuster sind, können Sie das nicht sagen. Die Liebe existiert also nicht und gerade darum darf ich so aufrichtig mit Ihnen sprechen. Die Schusterstochter steht so unter Ihnen, daß eine Liebe, selbst wenn sie existierte, gar nicht Erwähnung zu geschehen brauchte. Darum sagte ich Ihnen auch so ehrlich,
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