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65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell

Titel: 65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß Sie nicht häßlich sind.“
    „Da spotten Sie natürlich!“
    „Nein, ich sage die Wahrheit.“
    „Das kann ich nicht glauben.“
    „Glauben Sie es nur getrost. Es denkt und fühlt ja nicht der eine wie der andere. Über den Begriff des Schönen läßt sich streiten. Das Wort schön darf doch nicht bloß auf körperliche Vorzüge oder Eigenschaften Anwendung finden.“
    „Das sagen Sie?“ fragte er erstaunt. „Um über den Begriff der Schönheit zu diskutieren zu können, muß man mehr als Schuhmacherstochter sein.“
    „Ach so! Nun, ich habe hier und da etwas gehört und es mir gemerkt. Das ist alles. Ich wollte nur sagen, daß ich Sie nicht häßlich finde, weil Sie großmütig und barmherzig sind. Und sodann ist ja auch die Seelenrichtung des Weibes eine ganz andere, als diejenige des Mannes.“
    „Seelenrichtung?“ fragte er erstaunt.
    „Worüber wundern Sie sich?“
    „Über Ihre Art, sich auszudrücken.“
    „Es ist meine gewöhnliche.“
    „Wo haben Sie das gelernt?“
    „Von meinem Bruder.“
    „Was ist er?“
    „Musikant“, antwortete sie mit einem kleinen Anflug von Ironie.
    „Ah! Er muß ein belesener Musiker sein.“
    „Das ist er freilich.“
    „Wo hat er musiziert?“
    „Auf dem Saal des Tivoli, zweite Geige.“
    „So, so. Was meinten Sie vorhin, als Sie von der Verschiedenheit der Seelenrichtung sprachen?“
    „Ich meine, daß der Mann, wenn er liebt, mehr oder weniger durch die Schönheit der Formen beeinflußt wird. Das Weib liebt weniger die Form als vielmehr den Inhalt. Ich könnte einen schönen Mann hassen und einen häßlich lieben, beides um ihrer Herzenseigenschaften willen.“
    „Wären Sie dessen wirklich fähig?“
    „Ja.“
    Da bog er sich weiter vor und fragte gespannt:
    „Könnten Sie zum Beispiel mir gut sein?“
    Er glaubt, sie in Verlegenheit zu bringen, sie aber antwortete in aller Seelenruhe:
    „Ja, nämlich wenn Sie Schuster wären.“
    „So aber nicht?“
    „Nein. Oder könnten Sie mich, die Schusterstochter, lieben, obgleich Sie der Sohn eines hocharistokratischen Hauses sind?“
    Ihre Art und Weise der Beweisführung frappierte ihn.
    „Vielleicht dennoch“, antwortete er.
    „Nun dann auch ich Sie vielleicht dennoch“, lächelte sie, indem sie ihm die Hand entzog, welche er bisher festgehalten hatte.
    In diesem Augenblick stieß der Postillion ins Horn. Die beiden hatten in letzter Zeit nicht auf die Gegend geachtet. Jetzt bemerkten sie, daß sie in Reitzenhain angekommen waren.
    Jetzt ging's ans Scheiden. Er fragte noch schnell:
    „Wo waren Sie in letzter Zeit?“
    „Hier“, antwortete sie.
    „Jedenfalls in dienender Stellung?“
    „Gewiß“, nickte sie ihm zu.
    „Kennen Sie eine Familie Holm?“
    „Sehr genau.“
    „Es soll eine Tochter da sein?“
    „So viel ich weiß, ja.“
    „O bitte! Sie blicken mich so forschend an. Sie scheinen etwas vorauszusetzen, nicht?“
    „Hätte ich dazu etwa ein Recht?“
    „Nein. Dennoch aber sage ich Ihnen, daß ich diese Dame noch gar nicht kenne.“
    „Noch nicht? Sie wollen sie aber kennenlernen?“
    „Ja. Ich muß nämlich.“
    „Warum?“
    „Ich habe sie zu grüßen. Das ist alles.“
    „Von wem?“
    „Von einem Freund, nämlich von dem Herrn, welchen Sie heute am Vormittag bei mir gesehen haben.“
    Es glitt ein höchst schalkhaftes Lächeln über ihre fein ausgearbeiteten Züge, als sie fragte:
    „Hat dieser Herr auch von mir besprochen?“
    „Natürlich, da er Sie ja gesehen hat.“
    „Was sagte er?“
    „Daß Sie sehr, sehr – hübsch seien.“
    „Das ist nicht viel. Weiter nichts?“
    „Nein.“
    „So, so! Ah, aussteigen! Sie fahren jedenfalls bis zum Schloß weiter?“
    Der Kutscher hatte gehalten und war abgestiegen, um den Schlag zu öffnen, damit sie aussteige.
    „Bitte“, sagte Hagenau noch in Eile, „darf ich erfahren, bei wem Sie in Kondition sind?“
    „Schweigen wir“, antwortete sie. „Was würde man sagen, wenn man bemerkte, daß Sie mit einer Schusterstochter sprechen!“
    Sie eilte fort, und er konnte ihr nicht einmal nachblicken, da sich der Wagen wieder in Bewegung setzte.
    Als er dann oben im Schloßhof ausstieg, erfuhr er von dem Diener, daß sein Vater sich in seinem Arbeitszimmer befinde. Er begab sich dorthin und trat ein, als Sohn natürlich unangemeldet.
    An dem Tisch saß eine lange, schmächtige, weit nach vorn gebeugte Gestalt mit grauen, wohl zu früh gebleichten Haaren. Der Mann blickte sich um und erhob sich vom Stuhl, als er seinen

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