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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sie mußte an den Dreien vorüber. Schon konnte man ihr Gesicht erkennen. Sie trug ein langes, weißes Nachthemde und das Haar unter eine ebensolche Haube geordnet. Ihre Gestalt war hoch, voll, ihr Gesicht bleich und schön. Man sah, daß sie die Augen geschlossen hatte. Dennoch schritt sie ganz sicher daher, nicht etwa probierend und zaudernd.
    Jetzt war sie da. Sie konnte nichts sehen, aber als ob sie fühlte, daß sich Menschen hier befanden, blieb sie stehen, wie überlegend, wendete sich zu Leni um, trat auf sie zu und betastete sie mit den Spitzen der Finger langsam, sehr langsam und prüfend. Der Sennerin stockte der Atem. Sie war nicht furchtsam und befand sich ja auch nicht allein hier, aber die nächtliche Erscheinung und die Berührung derselben wirkte auf eine unbeschreibliche Weise auf die Nerven und Sinne.
    Da zog die Nachtwandlerin die Finger zurück, erhob warnend die Rechte und sagte deutlich und in tiefem Ton, ohne die Augen zu öffnen:
    „Ein König nimmt dich an die Hand,
Führt dich in goldne Pforten ein.
O traue nicht dem eitlen Tand,
Und trau der Liebe nur allein!“
    Es war eine Art Schüttelfrost, welcher die Drei überlief. Die Gestalt trat zu dem Wilderer und betastete ihn ebenso. Dann sagte sie, die Hand ebenso warnend erhebend:
    „Du steigst empor und stehst, vom Licht
Umflossen und bewundert da.
Verstoß, verstoß die Seele nicht,
Der durch dich schweres Leid geschah.“
    Er regte sich nicht. Er hätte jetzt kein Wort hervorbringen können. Die Mondsüchtige wendete sich jetzt zu Ludwig. Es kam ihm der Gedanke, zurückzutreten; aber mit magischer Gewalt hielt es seine Füße fest. Als sie jetzt mit den zarten, eiskalten Fingerspitzen über sein Gesicht und seine Brust, dann auch über seine Hände strich, war es ihm, als ob ein bewegliches Etwas in seinem Körper von diesem Strich folge, von der Stirn bis in die Spitzen seiner Finger herab. Er vermochte nicht, den Blick von den mystisch schönen, marmornen Zügen der Nachtwandlerin zu wenden.
    Diese legte, ganz entgegengesetzt als bei den beiden anderen, die Arme über der Brust zusammen, verbeugte sich tief und erhob nun erst die warnende Hand, mit deutlicher Stimme sagend:
    „Du bist geboren in dem Himmelszeichen,
Dess' Strahl den Edelsten verführt.
Laß deinen Geist ja nicht in Höhen steigen,
In denen er sich selbst verliert!“
    Sie blieb noch einige Sekunden lang mit erhobener Hand vor ihm stehen, dann trat sie zurück, wendete sich von ihnen ab, deutete empor nach dem Firmament und sagte laut und volltönend:
    „Der Seher schöpft aus ewgem Quell,
Um den des Himmels Sel'gen wandeln.
Die Gaben fluten in euch hell,
Und dunkel nur ist euer Handeln!“
    Dann entfernte sie sich wieder, in genau derselben Richtung, aus welcher sie gekommen war.
    Der König stand bewegungslos, mit fast übernatürlich geöffneten Augen. Von welchem Himmelszeichen hatte dieses Weib gesprochen? Welche gefährliche Höhen hatte sie gemeint? War sie allwissend? Hatte sie wirklich aus einem himmlischen Quell geschöpft? Konnte er daran zweifeln, nachdem sie zu der Sennerin gesagt hatte: „Ein König nimmt dich an die Hand“ –? War er nicht fest entschlossen gewesen und nun erst recht entschlossen, Leni die Hand zu bieten, um sie aus dem Dunkel in die lichte Welt der Kunst und des Ruhmes einzuführen?
    Er wurde aus diesem Sinnen durch die Stimme der Sennerin erweckt:
    „Herrgott! Sie steigt wieder auf den Felsengrat!“
    „Wollen wir sie rufen?“ fragte Anton. „Dann erwacht sie und bleibt zurück.“
    „Nein, nein! Sie ist bereits oben, wo die fürchterliche Gefahr beginnt. Rufen wir sie, so stürzt sie hinab und zerschmettert in der Tiefe.“
    Sie blickten ihr schaudernd nach. Ihre helle Gestalt schwebte zwischen Leben und Tod, denn der Schlaf war Leben, das Erwachen aber sicherer Tod für sie. Kein noch so leises Wanken verriet die geringste Unsicherheit ihrer Schritte, ihrer Bewegungen. Nicht ein einziges Mal verwickelte sich ihr Fuß in dem Saum des langen Gewandes. Und diese angsterregende, nervenspannende Szene beleuchtete der Vollmond mit friedlichem, freundlichem Licht, bis die Geheimnisvolle langsam drüben im Schatten verschwand, welchen die schräg gegenüberliegende Höhe auf den Hintergrund der Felsenwand warf.
    Jetzt erst holten die drei laut und tief Atem. Es war ihnen, als ob sie aus einer Verdammnis erlöst seien, und dennoch lauschten sie noch minutenlang, ob nicht ein Schrei ertöne, als Beweis, daß die magnetisch Schlafende

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