66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
sei. Sie ahnten dabei nicht, wie entscheidend grad diese Worte für ihr späteres Schicksal sein sollten.
„Hast recht, Leni! Und nun hab ich alles, alles, was ich mir wünschte, viel, viel mehr, als ich hoffen durfte, ehe ich dem Bären folgte. Jetzt laß uns scheiden.“
„Wann du einmal gehen willst, so kann ich es nicht ändern. Aber laß dich nicht ergreifen!“
„Nun kann mir's gleich sein! Ich will mich ja doch melden.“
„Aber freiwillig. Dann wird die Straf gelind ausfallen. Ergreifen sie dich, wird's schlimmer.“
„So will ich mich in acht nehmen.“
„Der Jäger-Naz sagte, du könntest nicht durch.“
„Laß ihn reden! Sie haben zwar alle Weg besetzt, aber ich fürcht mich nicht. Sie mögen mir so einen Bergsteiger bringen, wie ich bin. Und nun du die Meinige bist, werden sie mich erst recht nicht fangen. Weißt, die Lieb gibt Flügel. Wann sie jetzt kämen und ich stand am tiefsten Abgrund, ich käm doch hinüber. Es ist mir ganz so, als ob ich gar keinen Körper mehr hätt, als ob ich nur aus lauter Glück und Seligkeit beständ und als ob alles grad genauso geschehen müßt, wie ich es will. Darum – horch!“
„Herrgott! Es kommt wer!“
Man hörte Schritte nahen.
„Hinaus! Hinaus!“ bat Leni!
„Dazu ist's zu spät.“
„So versteck dich!“
„Wohin?“
„Hinaus in den Heustadel.“
„Ich kann doch nicht hinaus. Der Fremde hat ja von innen zugeriegelt.“
„Heilige Mutter Gottes! Was tun wir!“
Diese Worte waren in höchster Eile gewechselt worden. Leni fühlte eine fürchterliche Angst. Anton hingegen hatte seine Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit keinen Augenblick verloren. Er sah sich um und meinte:
„Verstecken kann ich mich nun nicht. Ich setz mich hierher und tu, als ob ich schlaf. Was dann geschieht, das kommt ganz darauf an, wer diejenigen sind, welche da kommen.“
Er zog den Schemel schnell hinter die Tür und setzte sich darauf, den Rücken nach der Tür gerichtet. Das Gewehr zwischen den Beinen und das Gesicht in die beiden Hände gelegt, nahm er eine Haltung ein, infolge deren man seine Züge gar nicht sehen konnte.
Von dem Augenblick, an welchem die beiden die Schritte gehört hatten, bis jetzt, war noch keine Minute vergangen. Nun mußte es sich entscheiden, denn es war deutlich zu vernehmen, daß jemand hart an der Tür stehenblieb und leise einige befehlende Worte sprach. Es waren also mehrere Personen draußen.
Und das ging eigentlich ganz natürlich zu.
Der Wurzelsepp hatte, wie bereits gesagt, vom König den Befehl erhalten, dem Oberförster zu sagen, daß er mit Anbruch des Morgens in der Sennhütte erscheinen solle. Der Beamte hatte aber aus Pflichteifer nicht solang warten wollen; er war viel, viel eher aufgebrochen und hatte sogar drei Jägerburschen mitgenommen, damit sie dem Monarchen die Gemsen vor den Lauf treiben sollten.
Jetzt nun hatten sie die Alm erreicht und näherten sich dem Häuschen, aus dessen kleinem Vorderfenster zu ihrem Erstaunen noch der Schein eines Lichtes leuchtete.
„Die Leni wacht“, sagte der Förster zu den Gehilfen. „Jetzt nun will ich euch sagen, was ich euch bisher verschwiegen habe. Seine Majestät, der König, befinden sich nämlich auf der Alm, um mit Tagesanbruch zu jagen. Natürlich dürfen wir nicht stören; darum dachte ich, daß wir uns hinter der Hütte ins Gras legen würden, um zu ruhen, bis die Majestät erwacht ist. Da aber die Sennerin auch noch nicht schläft, wollen wir sehen, ob wir drin Platz finden oder auf dem Stroh über dem Stall. Wartet hier. Ich will einmal nachschauen.“
Sie nahmen die Gewehre ab und blieben stehen, da, wo der Weg von der Alm nach unten führte. Der Oberförster aber trat zur Tür, um zu horchen. Er hörte nichts und ging zum Fenster. Durch dasselbe sah er die Sennerin am Herd sitzen, bleich und mit offenen Augen.
Jetzt kehrte er an die Tür zurück und klopfte leise, um den König, welcher sich auf alle Fälle im Stadel befand, nicht zu wecken.
„Herein!“ sagte Leni ebenso leise, doch so, daß er es hörte.
Er trat ein und merkte, da er die offene Tür in der Hand behielt und da er auf der Schwelle stehenblieb, zunächst gar nicht, daß sich hinter der ersteren noch jemand befand.
„Guten Mor –“
Das Wort blieb ihm im Mund stecken. Sein Blick war auf den Bären gefallen.
„Tausend Teufel!“ fuhr er dann fort. „Ein Bär! Wie kommt der hierher!“
Die Sennerin war aufgestanden. Sie mußte den Namen des Ankömmlings nennen, damit Anton
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