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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Die hat Augen wie Karfunkel und eine Stimm wie ein Nachtergall. So krähen wie die kann nicht mal der allerbeste Hahn im Dorf, 's ist eine Pracht!“
    „Die möcht ich sehen!“
    „Hast sie noch nicht geschaut, die Sennerin da drüben?“
    „Die? Ja, die hab ich wohl gesehen. Sie ist ein bildsauberes Mädchen. Du hast sie wohl sehr lieb?“
    „Lieb! So lieb, so ganz lieb, daß ich sie halt gleich fressen möcht, auch ohne daß sie ehebevor in der Pfann gebraten ist. Sie ist appetitlich wie keine.“
    „Auch appetitlicher als ich?“
    Er kam in Verlegenheit, zog sich aber aus derselben durch die Antwort:
    „Ja schau, das kommt halt auf den Geschmack an. Wer eine Sennerin haben will, so recht derb und kräftig, der muß sich eine Leni nehmen; wer aber eine Dichterin begehrt, weich und fett wie eine Martinsgans, der muß zu dir kommen.“
    Sie brach abermals in ein herzliches Lachen aus.
    „Eine Martinsgans! Welch eine köstliche, glückselige Unbefangenheit! Du bezauberst mich ganz und gar. Komm her; ich muß dich –“
    „Bleib mir vom Leib!“ fiel er schnell ein. „Ich darf mich halt nicht von einer jeden im Gesicht bemaulen lassen. Wann ich schmutzig bin, wasch ich mich schon stets selber ab. Ich geb es ja zu, daß du ein besonderlich hübsches Weibsbild bist, obgleich du dich in das Bettlaken eingewickelt hast wie ein Gespenst; aber deswegen brauchst mich doch nicht immer busseln zu wollen. Damit laß mich aus!“
    „Prächtig, ausgezeichnet!“ lachte sie noch immer. „Du bist der richtige Alpensohn, den ich mir nur wünschen kann. Du wirst mein bestes Sujet sein. Und wenn dich die Decke stört, so will ich sie ablegen.“
    Sie warf sie von sich und stand nun wieder in ihrer vorigen, fremdartigen Kleidung vor ihm. Er musterte sie mit eigentümlichem Blick. Er hatte das Gefühl, daß sie vielleicht an ihrem geistigen Zustand unschuldig sei, denn er wußte gar wohl, daß gewisse Krankheiten und Sünden der Eltern sich an den Kindern rächen. Darum fühlte er ein aufrichtiges Wohlwollen und ein mit Respekt empfundenes Mitleid für sie.
    „Aber sag, gehst du denn in diesem Hemd auch auf die Gaß?“ fragte er.
    „Hemd? Das ist eine Tunika. Sieh mich doch an, was ich eigentlich vorstelle!“
    „Wohl eine Seiltänzerin?“
    „Welch eine Verwechslung! Weißt du, wer Kalliope und Erato sind?“
    „Nein. Sind's vielleicht fremde Tiere? Etwa Papageiern?“
    „Ganz Alpenkind, ganz Alpenkind! Kalliope und Erato sind die Musen der Dichtkunst. Ich bin als Erato gekleidet. Nur in diesem Gewand kommt der Geist über mich.“
    „Alle guten Geister loben ihren Meister!“ rief er aus, drei Kreuze schlagend.
    „Ich meine nicht ein Gespenst, sondern den Geist der Dichtkunst. Der hat jetzt deine Gestalt angenommen. Dein Erscheinen begeistert mich zu einem Alpenroman oder zu Alpenliedern, durch welche ich großen Ruhm erlangen werde. Schon wenn ich dich nur ansehe, möchte ich gleich singen:
    Zu dir zieht mich's hin,
Wo ich geh und bin,
Hab nicht Rast und Ruh,
Bist ein netter Bu!
    und dazu möcht ich in alle Welt hinausjodeln, daß man es von Island bis nach Sizilien hört.“
    „Verschluck nur keine Noten dabei. Laß das Jodeln lieber mir und der Leni über.“
    „Ja, die Meisterin im Jodeln; das habe ich sehr oft gehört. Erzähle mir doch lieber von ihr, damit ich euch kennenlerne und über euch schreiben kann!“
    Da traf sie den richtigen Punkt. Er sprach gar zu gern von der Leni. Doch meinte er:
    „Erzählen will ich dir wohl alles, aber aus dem Schreiben wird nix. Wann wir einander einen Brief senden wollen, knaxen wir ihn selber zusammen. Wann auch die Buchstaben ausschaun wie Hühnertapfen, so wissen wir halt doch, was es zu bedeuten hat.“
    Und nun begann er, zu erzählen, von sich und seinen alten, armen Eltern, von der Leni, von ihren beiderseitigen Verhältnissen und Erlebnissen und endlich auch von dem Ereignisse der letzten Nacht. Das Interesse der Dichterin wuchs von Wort zu Wort. Die Liebe des Sohnes zu den Eltern tat ihr wohl und nahm ihre ganze Sympathie in Anspruch. Und nun erst seine heutige Flucht!
    „Anton, du bist ja der reine Held!“ sagte sie am Schluß seiner Erzählung. „Also sogar einen Bär hast du geschossen! Hast du dich nicht gefürchtet?“
    „Gefürchtet? Etwa vor ihm? Das fällt mir doch nimmer ein! Wann er sich muxt, so bekommt er die Kugel, und dann ist's ab.“
    „Du bist wirklich ein außerordentlicher Mensch, ein Bayard, ein Roland, ein – ein – ich finde gar

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