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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kleiner sein. Verzeihung, daß wir gestört haben, Fräulein von Stauffen!“
    Sie gingen. Als sie draußen die Tür hinter sich zugemacht hatten, sagte der Zivilist:
    „Sie dürfen meiner Cousine nicht zürnen. Sie leidet an Dichteritis.“
    „Was ist das?“
    „Sie will dichten und Romane schreiben und bringt nichts fertig; das hat ihr den Kopf verdreht, und darum ist sie zuweilen nicht so ganz zurechnungsfähig.“
    Die Jäger verabschiedeten sich. Draußen an dem Giebel, wo die Wache stand, blieben sie noch einen Augenblick stehen. Einer sagte:
    „Eine unglückliche Familie! Die eine Tochter ist mondsüchtig, und die andere hat den Dichterwahnsinn. Ich wäre grob geworden, wenn der Freiherr von Brenner mir nicht gewinkt hätte. Wo aber ist nun der Krickel-Anton?“
    „Er ist uns also doch entkommen.“
    „Das ist gradezu unmöglich. Vorüber hat er nicht gekonnt, und rückwärts in den Abgrund wird er doch auch nicht gesprungen sein. Hast du ihn denn genau gesehen?“
    „Hm! Ganz deutlich nicht. Hier hüben scheint der Mond ja nicht.“
    „Es ist irgendein Schatten gewesen, den du für den Anton gehalten hast.“
    „Ich habe aber doch seine Schritte gehört!“
    „Das werden wohl die unserigen gewesen sein. Nein, er ist sicher erschossen worden und in die Tiefe gestürzt.“
    „Wollen wir hinab?“
    „Nein, das dürfen wir nicht. Wir können unsern Posten nur dann verlassen, wenn wir abgelöst werden, also zur Mittagszeit. Kommt!“
    Sie entfernten sich.
    Anton hatte jedes Wort gehört. Er war nun seiner Rettung gewiß, wartete eine Weile und klopfte sodann an das Fenster. Franza von Stauffen öffnete und fragte: „Sind sie fort?“
    „Ja.“
    „So komm herein!“
    Er stieg hinein. Als er nun vor ihr stand, machte sie das Fenster wieder zu und betrachtete ihn.
    „Also so sieht ein Wilderer aus!“ meinte sie, ihn mit wohlgefälligem Blick in das kühn geschnittene Gesicht blickend.
    „Gefall ich dir nicht?“
    „O ja, du gefällst mir sehr gut, und ich freue mich, dich gerettet zu haben.“
    „Ich werd es dir halt nimmer vergessen. Hab Dank auch tausendmal!“
    Er streckte ihr die Hand entgegen, welche sie freudig ergriff. Ihr Gesicht nahm einen beinahe liebevollen Ausdruck an.
    „Hast du jetzt noch Zeit?“ fragte sie.
    „Ja. Ich kann halt noch nicht fort.“
    „So setz dich. Ich will mir mein Sujet auch nicht so schnell entgehen lassen.“
    „Was ist das für ein Wort?“
    „Süscheh wird es ausgesprochen und Sujet geschrieben. Es ist französisch und heißt soviel wie Gegenstand zu einem Gedicht oder Roman. Du sollst das Sujet für den Roman sein, den ich zu schreiben gedenke. Du scheinst ein tüchtiger Kerl zu sein. Ich liebe die Alpenwelt. Kennst du den Teil von Uhland?“
    „Den Teil kenne ich; aber der meinige ist von Bürglen in Uri und nicht von Uhland. Den Ort kenne ich gar nicht.“
    Da lachte sie auf und meinte:
    „Kostbar, sehr kostbar! Eine richtige Gebirgsnaivität! Komm her; ich muß dich küssen!“
    Sie trat auf ihn zu und wollte ihn auf die Stirn küssen. Er wehrte ihr erschrocken ab.
    „Laß sein! Ich mag kein Geschmatz. Ich kenne dich ja gar nicht.“
    „Aber du wirst mich schon noch kennenlernen. Uhland ist gar kein Ort, sondern ein Dichter, der auch über die Alpen gedichtet hat. Da sagt er:
    ‚Grün wird die Alpe werden,
Stürzt die Lawin' einmal;
Zu Berge ziehn die Herden,
Fuhr erst der Schnee zu Tal.‘
    und ich, die ich auch Dichterin bin, würde hinzusetzen:
    ‚Mit innigen Gebärden
Grüß ich euch tausendmal!‘“
    „Die Herden?“
    „Ja, die Herden, die Lawinen, die Berge und auch dich. Du bist gewandt, stark, schön und verwegen. Auf dich paßt die Strophe:
    ‚Wär ich ein Sohn der Berge,
Ein Hirt am ewgen Schnee,
Wär ich ein kecker Ferge
Auf Uris grünem See.‘
    Und ich, die ich auch Dichterin bin, würde hinzusetzen:
    ‚So täten mir die Zwerge
In meinem Herzen weh.‘“
    „Hast etwa Zwerge verschluckt?“
    „O nein! Das ist nur eine dichterische Redeblume. Ich meine damit die vielen kleinen Gefühle, welche im Herzen wohnen.“
    „Das ist ganz besonderbarlich. Ich pfleg das Ding beim richtigen Namen zu nennen. Du schaust doch sonst gar nicht aus, als ob du verrückt seist!“
    „Verrückt? Das ist kostbar, höchst kostbar. Ich muß dich küssen.“
    Er streckte sofort zur Abwehr die Arme vor.
    „Nein, nein! Ich dank schön! Ich hab der Leni versprochen, nur sie allein zu busseln.“
    „Du hast eine Leni?“
    „Na, und was für eine!

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