66095: Thriller (German Edition)
und Cricket lauschte den vertrauten schlurfenden Schritten. Sie hörte, wie die elterliche Schlafzimmertür geschlossen wurde und ihre Mutter kicherte. Cricket stand auf und schloss die Tür ab. Dann ging sie zu dem Computer auf ihrem Schreibtisch, schaltete ihn ein und rief ihre E-Mails ab.
Sie hatte Post von Chester Norton bekommen. Während der Anhörungen im Kongress hatten sie sich kennen gelernt, und obwohl er fünf Jahre älter war als sie, hatte sie bemerkt, dass er in sie verknallt war; sie tat nichts, um ihn zu entmutigen. Sein Onkel hatte ihm im vergangenen Jahr das Schwimmen beigebracht, und er trainierte jeden Tag im Schwimmbad der Universität. Seit ihrer ersten Begegnung hatte er stark abgenommen und sah von Mal zu Mal besser aus. Abgesehen von ihrem Vater war Chester der klügste und netteste Typ, den sie je kennen gelernt hatte.
Chester teilte ihr mit, dass Dr. Swain immer noch an einer wissenschaftlichen Erklärung der Mondgesteinsprobe Nr. 66095 arbeitete, und legte ihr einige der Theorien seines Onkels dar. Sie bestanden größtenteils aus mathematischen Formeln, die sie nicht verstand. Chester schrieb, dass er und Dr. Swain vorhätten, in den nächsten Wochen nach Kentucky zu reisen und sie und ihre Eltern gern darüber befragen würden, was bei der Destabilisierung des Steins in der Schamanenkatakombe genau geschehen sei. Ihre Erinnerungen, so Chester, könnten über die physikalischen Eigenschaften des Steins Aufschluss geben.
Als Cricket dies las, biss sie sich auf die Innenseite ihrer Wange. Sie hatte niemandem, nicht einmal ihren Eltern, in allen Einzelheiten erzählt, was geschehen war, nachdem sie mit Robert Gregor zusammengeprallt und mit ihm gemeinsam in den Abgrund gefallen war. Vor dem Kongress hatte sie ausgesagt, sie erinnere sich nur noch daran, dass sie in die Tiefe gestürzt und im Wasser gelandet sei. Erst im Krankenhaus sei sie wieder zu Bewusstsein gekommen. Das schrieb sie auch jetzt in ihrer Antwortmail an Chester.
Sie schickte die E-Mail ab und setzte sich dann auf ihr Bett. Später öffnete sie das Fenster und sah hinaus in die warme Nacht. Zu ihrer Freude tanzten und leuchteten draußen bereits die ersten Glühwürmchen.
Als sie den Mond so eindrucksvoll durch die Zweige und Blätter der Eichen leuchten sah, musste Cricket unwillkürlich an Gregor denken und daran, was nach ihrem Sturz in den Abgrund tatsächlich vorgefallen war. Einige Erinnerungen waren verschwommen und unscharf, aber andere waren so lebendig, als seien sie tief in ihr Gedächtnis eingebrannt.
Gregor war rückwärts in die Tiefe gestürzt, den Stein fest an die Brust gedrückt, und hatte Cricket mit sich in den Abgrund gerissen. Nach 9 Metern im freien Fall spürte Cricket einen heftigen Ruck an der Hüfte. Sekundenlang hing sie an einem Felsvorsprung, gehalten durch einen Karabiner, der an ihren Schleifsack festgehakt war.
Doch dann brach das Felsstück ab und sie stürzte weiter in die Tiefe. Der Lichtstrahl ihrer Lampe wurde von dem schlammigen Wasser unter ihr reflektiert. Dann sah sie nichts mehr.
Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, trieb sie im Pluto River stromabwärts, vorbei an Engstellen und Gesteinsbrocken, die im Flussbett lagen. Dann durchzuckte ihr rechtes Bein ein heftiger Schmerz.
Sie verlor erneut das Bewusstsein und erwachte Stunden später in stockdunkler Finsternis. Sie schaffte es, sich ganz aus dem Wasser herauszuziehen, und kramte in ihrem Schleifsack, den sie noch immer auf dem Rücken trug. Sie fand eine Batterie für ihre Stirnlampe, ließ den Lichtkegel durch die Höhle kreisen und stutzte entsetzt. Fast unmittelbar vor ihr entdeckte sie einen Stiefel, dann das dazugehörige Bein und schließlich auf einem Felsen Robert Gregor, der übel zugerichtet war.
Er war vom Tod gezeichnet, lebte aber noch. In seinem Schoß lag die Mondgesteinsprobe Nr. 66095, ein schlichter grauer Stein, der von einer dunklen Kristallader durchzogen wurde. Gregor wurde von Crickets Lampe geblendet, und Cricket drehte die Lichtstärke zurück. Sie lag da und sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen, und auch Gregor blieb stumm.
»Ich hoffe«, flüsterte er schließlich mit heiserer Stimme, »du hältst mich nicht für einen vollkommen bösen Menschen. Trotz allem, trotz all meiner schweren Arbeit bin auch ich nur ein schwacher Mensch.«
Cricket wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie rückte zwar nicht näher an ihn heran, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Er rang nach Luft
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