69 - Der Weg zum Glück 04 - Die Rivalen
weibliche Schönheit von ihrer Mutter. Und wenn sie von der letzteren das tiefe Gemüt geerbt hat, so bekam sie dazu vom Vater ein gut Teil Energie und Charakterstärke. Freilich hat sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt, dieselbe dem Vater gegenüber in einer Weise zu zeigen, daß er gemerkt hätte, wie sehr sie seine Tochter sei.
Es war Sonntag. Die Bewohner des Dorfes waren aus der Kirche zurückgekehrt, und überall in den Häusern setzte man sich zu Tisch. So auch beim Bauer Kery.
Bei ihm durfte das Gesinde nicht mit der Herrschaft essen. Für die Dienstboten stand in der hinteren Ecke ein besonderer Tisch, und für sie wurde auch besonders gekocht. Er hätte es für eine Schande gehalten, dasselbe Gericht vor sich zu sehen wie die Dienstleute.
Schon standen alle an ihren Plätzen, und nur der Bauer fehlte noch. Das war so seine Gepflogenheit. Er ließ auf sich warten, denn er hatte gehört, daß dies vornehm sei. Wenn er aber dann in die Stube trat und seinen Platz am Tisch einnahm, so verlangte er, daß keiner fehle. Wehe dem oder derjenigen, die sich ein Versäumnis zuschulden kommen ließ!
Und leider war dies heut der Fall. Am Gesindetisch stand ein Stuhl lehr. Mutter und Tochter hatten den Herrentisch in Ordnung gebracht und erwarteten nun den Herrn des Hauses. Da bemerkte die erstere den besorgten Blick, welchen die letztere nach dem Gesindetisch warf.
„Was gibt es noch?“ fragte sie.
„Der Ludwig ist noch nicht da.“
„Wirklich! Ist er denn noch nicht wieder heim?“
„Ich weiß es nicht. Ich werde gleich einmal nachsehen.“
Eben wollte sie fort; da trat der Bauer ein. Ohne jemanden einen Blick zu gönnen, schritt er auf den Tisch zu, stellte sich an seinen Platz, faltete die Hände und gebot:
„Wir wollen beten!“
Alle wußten, was jetzt kommen werde. Er pflegte erst nach der Aufforderung zum Gebet sich zu überzeugen, daß alle anwesend seien. So auch jetzt. Er musterte mit einem schnellen Blicke den Gesindetisch und rief, anstatt das Gebet zu beginnen:
„Donnerwetter! Wo bleibt der Ludwig?“
Niemand antwortete.
„Nun! Habt ihr keine Mäuler oder keine Ohren? Ich frage, wo der Ludwig bleibt!“
In diesem Augenblick hörte man das Räderrollen eines Wagens, welcher in den Hof einfuhr.
„Da kommt er erst“, sagte eine der Mägde, welche couragiert genug war, das Schweigen zu brechen.
„Erst jetzt also!“ zürnte der Bauer. „Er hätte schon vor einer Stunde hier sein sollen. Nun hat er erst die Pferde zu versorgen. Es wird gegessen und wenn nichts übrig bleibt, so kann er nichts bekommen. Wollen beten!“
Die Hände wurden abermals gefaltet und dann rezitierte er in leierndem Ton, dem man es anmerkte, daß er sich bei den Worten eigentlich gar nichts dachte:
„Wir danken Gott für seine Gaben,
Die wir von ihm empfangen haben,
Und bitten unsern lieben Herrn,
Er wolle uns hinfort mehr beschern.
Amen.“
„Gesegnete Mahlzeit!“ erklangen die Stimmen der Knechte und Mägde im Baß, Tenor, Alt und Diskant. Dann hörte man nichts mehr als das Klappern der Teller und das Klirren der Messer, Gabeln und Löffel.
Es wurde während des Essens kein Wort gesprochen. Höchstens durfte man einmal ein heimliches Flüstern wagen; aber auch das war gefährlich, denn die Augen des Bauern waren scharf, und er sah es als eine Mißachtung seiner Autorität, ja fast als eine Beleidigung an, wenn jemand beim Essen zu reden wagte.
Die Gesindepersonen warfen verstohlene Blicke nach dem Fenster, welches in den Hof führte. Sie waren um den Knecht besorgt, welcher sich verspätet hatte. Die Bäuerin schien gleichgültig zu sein, aber die Tochter konnte eine gewisse Unruhe nicht ganz bemeistern. Sie aß, als ob es ihr nicht schmecke. Ihr Gesicht war noch etwas mehr gerötet als gewöhnlich, und ihr Blick hing mit bangem Ausdruck an der Tür.
Da wurde dieselbe geöffnet, aber nicht der säumige Knecht trat ein, sondern eine ältliche Frau. Sie war ärmlich, aber sehr sauber gekleidet und von hoher Gestalt, die jedoch gebeugt erschien, weniger vom Alter, als vielmehr von der Not und Sorge des Lebens.
„Grüß Gott die Herrschaft und gesegnete Mahlzeit!“ sagte sie.
„Grüß Gott!“ dankten Mutter und Tochter, freilich in gedämpften Ton.
Vom Gesinde wagte niemand den Gruß zu erwidern.
„Was braucht ihr zu antworten!“ fuhr der Bauer auf. „Ihr wißt, daß ich das beim Essen nicht leiden mag. Guckt in die Schüssel und haltet die Mäuler!“
Die Frau blieb an der Tür stehen,
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