Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
69

69

Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
Vom Netzwerk:
lässt dich fallen, du Mistkerl! Die Hortensien am Straßenrand hatten gerade angefangen, die Farbe zu wechseln, und Adama, der uns ignorierte, stocherte mit der Spitze seines Schirms dazwischen herum.
    Adama war cool.

    »Alle Macht der Fantasie.«
    Das war die Parole, die wir auf das Transparent malen wollten. Narushima und Otaki wäre etwas Klischeehaftes wie »Kämpft den gerechten Kampf« lieber gewesen, aber Masutabe und seine Klassenkameraden bildeten die überwältigende Mehrheit und entschieden sich für einen der Slogans, die Adama und ich aus einer Sammlung von Graffiti der Mai-Revolte in Paris zusammengesucht hatten - Sachen wie »Verweigert euch der verordneten Harmonie« und »Unter dem Pflaster liegt der Strand«.
    Es machte Spaß, sich selbst Parolen auszudenken. Wir schrieben sie alle auf kleine Papierstreifen und lasen sie laut vor. Draußen vor dem Fenster fiel der Regen wie feine, silberne Nadeln. Uns fehlten nur noch runde Strohhüte, und wir hätten ausgesehen wie Basho und seine Jungs, während sie Haikus schrieben.
    »Ken-san«, sagte Iwase, »die Barrikade ist eine Sache, aber was ist mit dem Festival? Was ist mit dem Film?«
    Auf dem Heimweg vom Unterschlupf machten wir Halt in einem Café, das Boulevard hieß und in dem klassische Musik gespielt wurde. Iwase trank Kaffee. Kaffee war in jenen Tagen das bevorzugte Getränk von zweitklassigen Schülern in provinziellen Kleinstädten.
    »Wir machen das während der Ferien«, sagte ich.
    »Das lässt uns genug Zeit, um ein anständiges Drehbuch zu schreiben«, sagte Adama. Er trank Soda. Leute, die zu dieser Zeit aus der Pampa in provinzielle Kleinstädte kamen, waren verrückt nach Soda. Er saugte geräuschvoll an seinem Strohhalm und fragte dann: »Was für einen Film wollen wir machen, Ken?«
    »Ich hab’ mich noch nicht so richtig entschlossen.«
    Ich trank Tomatensaft. Die wirklich hippen jungen Leute in provinziellen Kleinstädten tranken in jenen Tagen immer Tomatensaft. Das ist natürlich Käse. Tomatensaft war immer noch etwas Ungewöhnliches, und die meisten Leute tranken ihn nicht, weil er nach Tomaten schmeckte oder weil er nicht süß war oder weil die Farbe sie abturnte. Ich zwang mich aus dem einfachen Grund dazu, ihn zu trinken, weil ich Aufmerksamkeit erregen wollte.
    »Ich hab dir das doch schon gesagt, oder? Dass er surrealistisch sein wird?« »Oh ja, hast du.«
    »Welche Musik sollte es noch mal sein?«, fragte Iwase.
    »Messiaen.«
    Um diese Zeit hatte ich begonnen, die Kunst zu perfektionieren, die Leute durcheinander zu bringen. Ich hatte entdeckt, dass man jemanden, der dabei war, sich ins Rampenlicht zu drängeln, ganz einfach auf seine natürliche Größe zurückstutzen konnte, indem man von einem Thema redete, über das er nichts wusste. Wenn der andere eine Menge über Literatur wusste, redete ich von Velvet Underground, wenn er eine Menge über Rockmusik wusste, redete ich über Messiaen, wenn er eine Menge über klassische Musik wusste, redete ich über Roy Lichtenstein, wenn er eine Menge über Pop Art wusste, redete ich über Jean Genet und so weiter. Mach das in einer Provinzstadt, und du verlierst in keiner Diskussion.
    »Es wird ein Avantgarde-Film, nicht?«, sagte Adama und zog ein Notizbuch und einen Kugelschreiber aus der Tasche. »Könntest du mir eine ungefähre Vorstellung von der Geschichte geben?«
    »Warum?«
    »Also, wenn wir in diesem Sommer mit dem Drehen anfangen wollen, müssen wir uns vorbereiten, richtig? Ausrüstung, Darsteller, Requisiten ...«
    Adama war der geborene Produktionsleiter. Ich war beeindruckt - so beeindruckt, dass ich ihm die Story so weit erzählte, wie ich sie mir bisher ausgedacht hatte.
    »Ich möchte, dass es eine Kombination aus Ein andalusischer Hund und Scorpio Rising wird ... Wir beginnen mit einer toten schwarzen Katze, die von einem Baum herunterhängt, und darüber schütten wir Benzin und fackeln sie ab, mit dem Baum und allem, mit Rauch, der vom Boden aufsteigt, alles im Gegenlicht, klar? Und dann, wruuumm!, kommen drei Motorradfahrer aus dem Rauch gedonnert, und ...« Es fiel mir plötzlich auf, dass in einem solchen Film kein Platz für Kazuko Matsui war. Mein kleines Bambi und dieser Surrealismus vertrugen sich nicht.
    »Streich das wieder«, sagte ich.
    Adama schaute von seinem Notizbuch auf, in das er »Tote Katze (schwarz) / Benzin / Drei Motorradfahrer« geschrieben hatte, und sagte: »Hä?«
    »Streich das - solche Filme sind total öde. Wart einen

Weitere Kostenlose Bücher