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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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Moment. Okay, so werden wir es machen. Wir ändern die Story völlig.«
    Iwase und Adama schauten einander an.
    »So geht’s. Die erste Einstellung ist eine Wiese im Hochland, am Morgen. Der Nebel hängt noch in der Luft. So was wie die Wiesen am Mount Aso.«
    »Das Hochland? Morgens?« Adama brach in Gelächter aus. »Wie kommst du von einer toten schwarzen Katze zum Hochland am Morgen?«
    »Symbolismus, Mann, Symbolismus. Das ist das Wesentliche, reine Bilder. So viel verstehst du, oder? Okay, das Hochland. Dann zoomen wir mit der Kamera herunter auf einen Jungen mit einer Flöte.«
    »Masutabes Kamera hat kein Zoom.«
    »Adama, bleib locker. Wir werden uns später über die Einzelheiten Gedanken machen, okay? Also, der Junge mit der Flöte spielt dann eine Melodie. Etwas richtig Schönes.«
    »Daisy Chain?«
    »Genau, das ist gut. Immer wenn du so eine gute Idee hast, will ich sie hören. Danach taucht dann das Mädchen auf.«
    »Lady Jane.«
    »Richtig. Sie trägt ein weißes Kleid . Reines Weiß. Aber nicht wie ein Hochzeitskleid, mehr wie ein Negligé, irgendwas, das fast durchsichtig ist. Wir lassen sie auf einem weißen Pferd reiten.«
    »Pferd?« Adama, der »Flöte / Weißes Kleid (Negligé, kein Hochzeitskleid)« schrieb, hob den Kopf und fragte: »Ein Pferd? Ein weißes Pferd?«
    »Ja.«
    »Vergiss es. Woher sollen wir ein weißes Pferd kriegen?«
    »Komm mir nicht mit dem Realismus, Mann. Symbolismus, Symbolismus.«
    »Symbolismus hin, Symbolismus her, du kannst nichts filmen, was wir nicht haben. Du findest nie ein weißes Pferd. Du findest heutzutage nicht mal ein normales Pferd. Ken, wie wär’ es mit einem Hund? Die Leute neben uns haben einen großen weißen Akita.«
    »Einen Hund ?«
    »Ja, er heißt Whitey. Er ist groß genug, könnte wahrscheinlich ein Mädchen auf seinem Rücken tragen, wenn es sein müsste.«
    »Wenn du Kazuko Matsui auf einem Akita reitend auftreten lässt, brüllen alle vor Lachen. Willst du das Ganze in eine Komödie verwandeln?«
    »He, regt euch ab, Jungs«, sagte Iwase, und wir hörten sofort auf zu streiten. Aber nicht, weil Iwase sich eingemischt hatte. Eine mandeläugige Doppelgängerin von Claudia Cardinale in einer Junwa-Uniform war gerade hereingekommen. Sie setzte sich an den Nachbartisch und bestellte Tee mit Zitrone. Als der Mann, der das Boulevard führte, ihre Bestellung entgegennahm, bat ich ihn, die Symphonie Fantastique von Berlioz aufzulegen, mit Zubin Mehta als Dirigenten. »Da haben wir’s wieder«, sagte Iwase, »ein Mann von Welt. Berlioz, Mehta - das ist die einzige Kombination, die du kennst.« »Fick dich ins Knie«, sagte ich. »Ich kenne auch die Vier Jahreszeiten von I Musici.« Nun war es Adama, der »Reg dich ab, reg dich ab« sagte.
    Claudia Cardinale stand mit einer Einkaufstasche in der Hand auf und verschwand auf der Toilette. Als sie wieder auftauchte, war sie ein anderer Mensch. Ihr Haar war leicht nach innen gerollt und umrahmte ihr Gesicht, sie trug Eyeliner und rosa Lippenstift, ihre weiße und dunkelblaue Uniform hatte sich in ein cremefarbenes Kleid verwandelt, ihre schwarzen flachen Schuhe waren zu hochhackigen geworden, und um sie herum hing der Geruch von Nagellack in der Luft. Wir schauten auf ihre glänzenden Fingernägel und seufzten. Sie starrte zu uns zurück und sagte: »Was ist?«
    »Nichts, nichts«, murmelten wir und schüttelten kläglich unsere Köpfe, und sie zog die Luft durch die Nase ein und schwenkte zwischen ihren Fingern eine High-lite Deluxe und schürzte die Lippen, um einen Strom aus blauem Rauch in die Luft zu entlassen, wo er sich mit dem ersten Satz der Symphonie Fantastique vermischte. Ich ignorierte Iwase, der »Tu’s nicht, tu’s nicht, tu’s nicht, tu’s nicht« flüsterte, wandte mich an Claudia Cardinale und fragte: »Würdest du gern in einem Film mitspielen?«
    »Was meinst du damit?«
    »Wir drehen einen Acht-Millimeter-Film und hätten gern, dass du da mitspielst.«
    Claudia Cardinale lachte laut und zeigte dabei ihr hübsches rosa Zahnfleisch.
    »Ihr Jungs seid von der Nördlichen, nicht?«, sagte sie und ignorierte meine Frage. Sie erwähnte den Namen von so einem Penner aus Shirokushis Bande und fragte, ob wir ihn kennen würden. »Ist auf die Aimitsu-Mittelschule gegangen. Ziemlich groß, ein bisschen verträumt.« Wir nickten, und sie sagte, wir sollten ihn grüßen. Ich fragte sie nach ihrem Namen. Sie hieß Mie Nagayama. Ich lehnte mich vor, um ihr noch ein bisschen mehr über den

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