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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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weiß nicht, wie ich mich für den ganzen Ärger entschuldigen soll, den mein Sohn Ihnen bereitet hat.« Ich zog sie beiseite und flüsterte: »Was zum Teufel tust du da? Du musst dich nicht bei Adamas Mutter entschuldigen.« Ihre Antwort war, dass ich auch als kleiner Junge schon immer der Anstifter gewesen sei. »Es ist Bestandteil deines Charakters geworden«, meinte sie. Adamas Mutter sah mich mit Augen an, die sagten: Das ist also der Junge, der meinen lieben kleinen Tadashi auf Abwege geführt hat, aber ich lächelte und ließ ein fröhliches »Hallo! Ich bin Ken Yazaki« hören. Auch das war Bestandteil meines Charakters.

    Das Urteil des Rektors lautete Hausarrest auf unbestimmte Zeit .
    »›Unbestimmt‹ bedeutet natürlich nicht für immer«, teilte er uns mit. »Die Zeit wird danach bestimmt, wieviel Bedauern über euer Verhalten ihr an den Tag legt. Eure Abschlussprüfung und eure Zulassung zur Universität hängen davon ab, wir raten euch also dringend, in Zukunft jegliche Fehltritte zu vermeiden, und hoffen, dass sowohl ihr als auch eure Eltern ernsthaft über die Gründe für diese Situation nachdenkt.«
    »Er ist nicht ausgeschlossen worden«, teilte meine Mutter meinem Vater am Telefon mit, während ihr die Tränen die Wangen herunterliefen. Das Wort »Arrest« ließ mich an Einzelhaft denken, was ziemlich deprimierend war, aber als ich erkannte, dass unsere Strafe bedeutete, dass wir die Schule schwänzen konnten, ohne das verheimlichen zu müssen, heiterte mich das ganz erheblich auf.

    Als wir wieder zum Schultor zurückgingen, streckte Yuji Shirokushi, der Ober-Pomadenkopf, mitten in einer Zusatzschulstunde seinen Kopf aus dem Fenster und rief: »Ken-san, Adama! Was ist passiert?« Meine Mutter wurde total nervös und rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn vor mir her und meinte, ich solle mich benehmen, aber ich beachtete sie nicht und rief mit einer Stimme, die über den ganzen Schulhof hallte, zurück: »Wir sind nicht rausgeflogen. Wir haben Hausarrest bekommen!« Die Mitglieder meiner Band, die Kids aus unserer Klasse und Masutabes Anhänger aus der zweiten Klasse und Shirokushis Pomaden-Gefolge und und und und, und Kazuko Matsui, alle schauten aus den Fenstern ihrer jeweiligen Klassen und winkten. Ich winkte zurück - zu Lady Jane hinüber.

    Hausarrest bedeutete genau genommen, dass man eigentlich überhaupt keinen Schritt aus dem Haus machen durfte, aber da das wahrscheinlich jeden zum Wahnsinn getrieben hätte, wurde uns ein Minimum an Freiheit gestattet, was man als »Ausflüge in die Nachbarschaft« bezeichnete.
    Ich vermisste nicht besonders viel. Ich konnte natürlich nicht ins Kino oder in Jazz-Cafés gehen, aber unser Haus war nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, und so konnte ich mir ganz gut die Zeit vertreiben, Eis am Stiel lutschen und mit unserem Hund im Park und in der Umgebung der Militärbasis spielen, in Buchhandlungen gehen und die Freundin meiner Schwester, Torigai-san, treffen.
    Adamas Lage war im Vergleich zu meiner die Hölle. Er musste aus seiner Pension ausziehen und zurück nach Hause gehen. Die Kohlengruben standen wegen einer Wirtschaftskrise kurz vor der Schließung, und der Ort war praktisch eine Geisterstadt. Sie hatten ein Schuhgeschäft, einen Lebensmittelladen, einen Schreibwarenladen und ein Bekleidungsgeschäft, und das war so ziemlich alles. Im Bekleidungsgeschäft gab es fast nur weiße Socken, der Schreibwarenladen hatte nichts als holzfreies Schreibpapier. Es gab keine Instant-Currygerichte im Lebensmittelladen, und alles, was das Schuhgeschäft auf Lager hatte, waren Arbeitsschuhe aus Leinen mit gespaltenen Kappen. Bereits seit einigen Jahren kursierten jetzt schon Gerüchte, dass die Minen bald geschlossen würden, und die Leute zogen in Scharen fort. Das Einzige, was man noch auf den Straßen sah, waren herumschlurfende Gruppen alter Knacker, die sowieso nicht mehr umziehen konnten, auch wenn sie es gewollt hätten.
    Man konnte von einem siebzehnjährigen Jungen, der schon einmal von Led Zeppelin, Jean Genet und Doggy Style gehört hatte, kaum erwarten, dass er glücklich darüber war, in so einer Stadt festzusitzen.
    Ich dagegen war derart übereifrig und so darauf bedacht, den Lehrern, die vorbeikamen und nach mir sahen, meine Rolle als braver Junge vorzuspielen, dass mein Vater mehr als einmal den Kopf schüttelte und mich fragte, wo ich denn gelernt hätte, so ein gerissener kleiner Mistkerl zu sein. Ich servierte ihnen für gewöhnlich ein Glas

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