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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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kalten Gerstentee und lachte und plauderte - Dinge, die Adama offensichtlich schwer fielen.
    »Sie kotzen mich an.« Ich weiß nicht, wie viele Male er mir das am Telefon sagte. Alles, was er tat, war, sich mit seinen Aufsehern in die Haare zu geraten.
    »Sie kotzen mich an.«
    »Ach, komm schon, Mann. Sieh das nicht so eng.«
    »Ken, die sagen mir alle, dass es dir wirklich Leid tut, was wir gemacht haben. Stimmt das?«
    »Das ist nur Theater, Mann.«
    »Theater?«
    »Ja.«
    »Was für eine Art Theater ist das? Hm? Wo bleibt dein Schamgefühl? Was hätte Che dazu gesagt?«
    »He, Mann, nimm’s locker, okay?«
    »Ken, was ist mit dem Festival?«
    »Wir machen es.«
    »Bist du mit dem Drehbuch fertig?«
    »Fast.«
    »Beeil dich und schick es mir zu. Ich versuche, den Kram zusammenzusuchen, den wir brauchen - jedenfalls das, was ich hier finden kann.«
    »Was soll denn das sein? Arbeitsschuhe? Und ich glaube, Schlackehalden brauchen wir auch nicht.«
    Adama unter Hausarrest wusste solche Witze überhaupt nicht zu schätzen. Er knallte den Hörer auf. Ich rief ihn sofort zurück und entschuldigte mich.
    »Hey, es tut mir Leid. Sei nicht so empfindlich, Mann. Ich mach’ das Drehbuch bald fertig und schick’ es dir zu, versprochen. Und hör zu, was ich mir für die Eröffnung ausgedacht habe - für das Festival, meine ich. Erinnerst du dich an Mie Nagayama, das Mädchen, das wir im Boulevard getroffen haben? Mie Nagayama, die von Junwa? Wir stecken sie in ein Negligé und drücken ihr eine Kerze in die eine Hand und nehmen Musik von Bach, das dritte Brandenburgische Konzert, verstehst du, und in der anderen Hand hält sie eine Axt, und oben auf der Bühne sind große Sperrholztafeln mit Bildern der Lehrer der Nördlichen Oberschule und von Lyndon Johnson, und sie fängt an, mit der Axt darauf loszuhacken. Ganz schön cool, was?«
    Das stellte Adamas Laune wieder etwas her. Das Festival war das Einzige, das ihn aufrecht hielt. Ich wusste, wie er sich fühlte. Jetzt, wo wir die Barrikade hinter uns hatten, freuten wir uns alle auf das nächste Fest.

CHEAP THRILLS
    Matsunaga, unser Klassenlehrer, war einer der dünnsten Menschen, die ich je getroffen hatte, weil er in seiner Jugend jahrelang TB gehabt hatte. Er war ein sanftmütiger Kerl, einer, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben die Stimme erhoben hatte. Während der Sommerferien kam er mindestens jeden zweiten Tag zu mir nach Hause. Da er aber ein ruhiger Mensch war, sagte er nie viel mehr als »Wie geht’s?« oder »Du nimmst dir das hoffentlich nicht zu sehr zu Herzen«. Er schaute auch mindestens genauso oft nach Adama. Nur knurrte Adama ihn offensichtlich jedes Mal an und beschuldigte alle Lehrer, Handlanger oder Lakaien des Kapitalismus zu sein, aber Matsunaga nickte nur und lächelte ironisch und machte Bemerkungen über die Sonnenblumen im Garten oder so was, und dann, nach einer Weile, ging er wieder.
    Seine Besuche fanden außerdem noch nach einem langen Tag voller Zusatzunterricht an der Schule statt, und er musste einen Bus bis zu unserem Haus nehmen und dann später zu Adamas Bergarbeiterstadt weiterfahren. Ich konnte die Bushaltestelle von meinem Schlafzimmerfenster aus sehen. Von dort aus musste man zuerst eine enge Gasse und dann eine lange Steintreppe hinaufgehen. Ich beobachtete Matsunaga, wie er den Hang heraufächzte und -keuchte und etliche Male anhielt, um sich auszuruhen - ein Lehrer, der in seiner Vergangenheit unter Lungenproblemen gelitten hatte, trabte bergauf, bis er schweißgebadet an unserem Haus ankam, nicht um mir eine Predigt zu halten, sondern nur um zu fragen, wie’s ging ... ich fand es sehr bald schwer, ihn zu hassen.
    »Du verstehst das jetzt vielleicht noch nicht, Yazaki, aber ich erzähle es dir trotzdem. Als ich auf der Pädagogischen Hochschule war, hatte ich sechs größere Operationen - meine Brust ist ein Haufen hässlicher Narben. Ich hatte sogar Ohnmachtsanfälle und so weiter. Es war erschreckend, aber weißt du, man kann sich an alles gewöhnen. Ich gewöhnte mich tatsächlich an die Operationen und die Narkosen und die Blackouts, und irgendwann fing ich an zu denken, dass doch eigentlich nichts wirklich so fürchterlich wichtig ist. Im Sommer zum Beispiel, da blühen Sonnenblumen und Cannas und andere Blumen, und ich muss sie nur ansehen, um so zu denken - nichts ist wirklich so wichtig.«
    Matsunaga sagte von Zeit zu Zeit solche Sachen. Ich hörte auf, ihn abweisend zu behandeln, und fing sogar an, ihn zu

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