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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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amerikanischen Reise, die dort errungenen Erfolge, hatten ihm den Sinn für die schlichten Verhältnisse des Lebens getötet. Er hatte kein Verständnis mehr für die Heiligkeit natürlicher und moralischer Verpflichtungen und war nur noch Einflüssen zugänglich, welche mit ungewöhnlicher Stärke auf ihn wirkten.
    Darum war die Liebe zu der braven Leni längst in seinem Herzen erstorben, und an deren Stelle loderte nun eine wilde Leidenschaft für die Tänzerin, deren gleißende Erscheinung die glühendsten Wünsche in ihm erweckt hatte. Das ‚Glück‘ hatte seine besseren Eigenschaften erstickt und die schlechteren zur vollen Entwicklung gebracht. Dabei aber ist unter Glück nur der äußere Erfolg gemeint, denn das wahre Glück ist etwas ganz anders, tief Innerliches.
    „So!“ sagte er zuletzt. „Jetzt kennst du die interessanteste Episode meines Lebens, und damit mag diese Vergangenheit für mich abgeschlossen sein. Der Teufel soll mich holen, wenn ich wieder an diese Dummheiten denke. Die Zukunft gehört mir. Ich will leben und genießen; ich habe den Willen, die Kraft und auch – das Geld dazu.“
    Er legte sich auf den Diwan zurück, als ob er von der ganzen Angelegenheit nichts mehr wissen wolle.
    „Du könntest wirklich der Hauptheld eines Romans sein“, sagte der Baron. „Schade nur, daß du mit der Heldin desselben zerfallen bist.“
    „Es gehört ihr nicht mehr!“
    „War diese Leni denn wirklich hübsch?“
    „Nach meiner damaligen Ansicht, ja. Jetzt aber besitze ich freilich, einen ganz anderen, einen geläuterten Geschmack. Ein Weibsbild, welches nach Heu, Käse und Kühen duftet, würde mir jetzt Krampfanfälle zuziehen. Unter ‚schön‘ verstehe ich jetzt etwas ganz anderes als damals.“
    „Sie interessiert mich dennoch. Wo mag sie sich befinden?“
    „Ich weiß es nicht. Sie wird verschollen sein.“
    „Schwerlich!“
    „O doch. Sie nannte sich als Sängerin Mureni. Weißt du jetzt etwas von einer Sängerin dieses Namens?“
    „Freilich nicht.“
    „Also! Meine Vorhersagung wird eingetroffen sein. Sie ist an ihrem Trotzkopf zugrunde gegangen. Ich möchte darauf schwören, daß ihre vollen Formen ihr Unglück geworden sind. Ihre Stimme war nicht übel; aber ihr geistigen Anlagen reichten zwar aus für eine Sennerin, keineswegs jedoch für die schwierige Ausbildung zur Künstlerin.“
    „Die deinigen haben aber ausgereicht, obgleich du nicht mehr Bildung besaßt als diese Leni?“
    Diese Frage wurde in freundschaftlichem Ton gesprochen, hatten aber trotzdem den Zweck, dem Krickel-Anton einen Stich zu versetzen. Er fühlte denselben auch, denn er fragte schnell:
    „Willst du mich beleidigen!“
    „Fällt mir nicht ein! Ich weiß ja, daß es ein Mann unter den ganz gleichen Vorbedingungen bedeutend weiter bringt als ein Weib. Es mag also sein, daß sie auf der untersten Stufe der Gesangskunst sitzengeblieben ist.“
    „Und moralisch ist sie jedenfalls tiefer und tiefer gesunken. Als ich sie in jenem Konzert zum zweiten Mal mit offenem Busen und nackten Armen sah, wußte ich sofort, daß sie damit den ersten Schritt zu Schande getan hatte. Von jenem Abend an war sie unrettbar verloren.“
    „Hm!“ fragte der Baron lächelnd. „Du konntest also eine solche Entblößung nicht ersehen?“
    „Nein. Auch heut noch nicht. Ein Weib, welches ihre intimsten Reize in dieser Weise freigibt und veröffentlicht, flößt mir geradezu Ekel ein.“
    „Und – Valeska, deine Tänzerin?“
    Der Sänger errötete. Er suchte nach einer Antwort, fand aber keine passende.
    „Ich möchte annehmen, daß die Leni sich dem Publikum bei weiten nicht so gezeigt hat, wie die Tänzerin es tut!“
    „Das ist etwas ganz anderes“, antwortete Criquolini. „Der Tanz hat den Zweck, durch charakteristische, harmonische Bewegungen irgendeinen Gedanken aus dem Reich des Schönen zur Anschauung zu bringen. Da ist es ganz selbstverständlich, daß die Formen der Tänzerin mit herbeigezogen werden müssen. Die Entblößung der betreffenden Körperteile hat also ihre völlige Berechtigung. Nicht so liegt es aber bei einer Sängerin. Die drallen Waden und fetten Arme eines Weibes haben mit der Kunst und dem Zweck des Gesangs gar nichts zu tun. Oder sage mir, ob zum Beispiel das Lied mit dem bekannten Schlußrefrain ‚Ihm hat ein goldner Stern gestrahlt‘ an Schönheit gewinnt, wenn die vortragende Sängerin dabei eine Taille trägt, welche bis zur Frechheit tief ausgeschnitten ist!“
    „Das Lied bleibt

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