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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dann unter Begleitung anderer Künstler durch die Vereinigten Staaten zog, von woher ich vor drei Wochen hier angekommen bin. Diese amerikanische Reise hat meinen Ruf begründet. Ich singe jetzt nur noch für goldenes Honorar und denke dabei natürlich nicht gern an die Zeiten zurück, in denen ich als Tabulettkramer den Staub der Landstraße aufwirbelte.“
    „Tabulettkramer? Donnerwetter, das ist famos; das ist romantisch!“
    „Oh, es gibt noch viele romantische Punkte in meiner Vergangenheit. Was würdest du zum Beispiel sagen, daß ich einer der gefürchtetsten Wildschützen gewesen bin?“
    „Du? Zuzutrauen wäre es dir!“
    „Ich war es in Wirklichkeit. Keine Gemse verstieg sich zu hoch für mich, und kein Abgrund war mir zu gefährlich. In der Dunkelheit der Nacht und auf Wegen, bei denen mir jeder Fehltritt den Tod bringen mußte, stieg ich auf, und manch ein Mal bin ich, die schwere Beute auf dem Rücken, an Wänden abgestiegen, an denen kaum eine Fliege Halt finden konnte. Wenn ich daran denke, so möcht ich gleich nach dem Stutzen greifen und hinauf in die Berge, denn
    Aan Gamsl an der Wand
Und aan Punkt in der Scheiben,
Und aan Schatzerl an der Hand
Das ist mein Tun und mein Treiben
Halloi droi droi dri!“
    Er war von dem Diwan aufgesprungen, stützte sich mit der Hand auf den Tisch und sang den Jodler mit einer Stimme und einer Verve, welche ihm das Lob des anspruchsvollsten Gesangskenners eingebracht hätte.
    Aber der Burgunder wirkte noch immer, so daß der Sänger wankte und sich wieder niedersetzen mußte.
    „Verdammt!“ zürnte er. „Der Wein hat mich bei den Nerven gepackt. Das hätte mir früher nicht geschehen können. Damals hatte ich Eisendrähte anstatt der Nerven im Leib. Dem Krickel-Anton tat es keiner gleich, kein einziger in allen Alpen.“
    „Krickel-Anton? So hießest du?“
    „So wurde ich gerufen. Wer ein Gemskrickel haben wollte, konnte es von mir bekommen, wenn kein anderer die Schneid hatte, es ihm zu schaffen. Darum wurde ich nur der Krickel-Anton genannt und darum habe ich diesen Rufnamen in den Künstlernamen Criquolini umgewandelt. Eigentlich heiße ich Anton Warschauer.“
    „Es ist mir, also ob ich früher öfters etwas von dem Krickel-Anton hätte erzählen hören. Es hieß, die Polizei verfolge ihn auf Schritt und Tritt, sie könne aber seiner nicht habhaft werden.“
    „Das ist wahr. Sie war mir stets hinter den Fersen, hat mich aber nicht bekommen, selbst damals nicht, als ich bei der Leni erwischt wurde. Ah, dieser Fluchtweg des Nachts über den Felsengrat! Das war ein kolossales Wagnis, und ich glaube nicht, daß ich es heut wieder unternehmen würde. Man hielt mich für tot und hatte lange, lange Zeit im Abgrund nach mir gesucht.“
    „Du machst mich wirklich begierig, dieses Abenteuer zu erfahren.“
    „Wenn es dir Spaß macht, will ich es dir erzählen. Ich befinde mich in der richtigen Stimmung dazu.“
    „So tue es, bitte!“
    „Nimm dir erst eine Zigarre dort, und bringe mir auch eine! Meine Beine sind obstinat geworden; sie haben mir den Gehorsam gekündigt, und ich muß nachher wirklich ein Schläfchen machen, um mich wieder in Ordnung zu bringen.“
    Die Zigarren wurden angesteckt, und dann begann der Krickel-Anton zu erzählen.
    Aber er erzählte nicht nur von jener Nacht, in welcher er rettende Zuflucht in der Wohnung der dicken Dichterin gefunden hatte, sondern er berichtete auch das Weitere, sein Verhältnis zur Muren-Leni und seinen Bruch mit ihr, als sie gegen seinen Willen Sängerin geworden war.
    Der Baron unterhielt sich sehr gut dabei, denn er erhielt dadurch den Stoff zur Ausführung gewisser Absichten, von denen er freilich nicht reden konnte. Was er hörte, diente leider nicht dazu, seine Achtung für den Sänger zu erhöhen.
    Der Krickel-Anton war ein anderer geworden, und doch war der eigentlichste Kern seines Wesens, seiner Individualität ganz derselbe geblieben. Kühnheit, Ausdauer, Rücksichtslosigkeit, Selbstsucht, das waren seine Grundeigenschaften gewesen. Die Leni hätte aus ihm einen braven Mann machen können, und sie war auf dem besten Wege dazu gewesen, als er sich gewaltsam wieder von ihr losgerissen hatte. Das Glück war ihm freundlich entgegengetreten und hatte ihm äußerliche Erfolge gebracht, verhärtet und sein Gefühl für das Bessere nicht abgestumpft. Nur sich und sein eigenes Wohl im Auge behaltend, hatte er nicht nur die Geliebte, sondern sogar seine Eltern vergessen. Die gewaltigen Eindrücke seiner

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