71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
ich, der Herr Baron Hesekiel von Hamberger!“
Seine Frau war solche Auslassungen gewöhnt. Ihr fielen sie nicht mehr auf. Der Graf war rücksichtsvoll genug, ein Lächeln zu unterdrücken.
Der Bankier blieb endlich vor ihm stehen und fragte:
„Was meinen Sie, bester Graf, würde es nicht Aufsehen erregen, wenn ich, ich, ich –“, er deutete dabei mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine fette, breite Brust, „wenn ich diesen Kometen in die Wiener aristokratische Welt einführte?“
„Ungeheures Aufsehen!“
„Würde ich mir nicht große Verdienste um die Kunst erwerben, bedeutende Verdienste?“
„Unbedingt!“
„Und welch eine Genugtuung für mich, wenn ich allen anderen zuvorkomme, allen Fürstlichkeiten und hohen Herrschaften!“
„Ja, das wäre ein Erfolg, um den Sie jedermann beneiden würde.“
„Sie wohl auch?“
„O nein. Ich lebe einsam nur meinen Studien und der komplizierten Verwaltung meiner Besitzungen und sehe keine Gesellschaften bei mir. Wie also sollte ich Sie beneiden? Im Gegenteil würde es mich, als den Gast Ihres Hauses, freuen, wenn Sie das Glück hätten, diese Künstlerin für heute abend zu gewinnen.“
„Das Glück? Warum sollte ich es nicht haben?“
Der Graf wiegte, ohne eine Antwort zu geben, den Kopf bedenklich hin und her.
„Nun, so antworten Sie doch! Sprechen Sie! Warum sollte sie nicht kommen wollen, zu mir, dem reichen Bankier und Baron Hesekiel.“
„Weil sie nicht so ist wie andere.“
„So! Wie ist sie denn?“
„Sie scheint nur ihrer Kunst zu leben. Vom öffentlichen Leben aber zieht sie sich zurück.“
„Das wissen Sie?“
„Es wurde darüber geschrieben. In den vorhin genannten Städten haben die reichsten und angesehensten Familien sich Mühe gegeben, sie anzuziehen, vergeblich. Sie hat stets abgelehnt. Sie hat als Grund angegeben, daß sie lernen müsse und keine Zeit für anderes übrig habe.“
„Dann ist sie allerdings eine große Ausnahme. Aber dennoch werde ich mein Glück bei ihr versuchen. Ich werde alles tun, was ich kann. Ich werde zu ihr fahren in meinem besten Wagen und ihr bieten hundert Gulden und auch noch mehr, wenn sie kommen will, um ein Lied zu singen.“
„Um Gottes willen, das nicht!“
„Kein Lied?“
„Nein, kein Geld, meine ich. So eine Dame fühlt sich natürlich hoch beleidigt, wenn man ihr eine Bezahlung anbietet.“
„Aber ich kann und will doch nicht verlangen, daß sie es umsonst macht. Ich will nobel sein!“
„Das können Sie auch ohne Bezahlung.“
„Aber wie denn?“
„Indem Sie ihr zum Beispiel am nächsten Morgen ein feines Bukett senden, welches von einer goldenen Kette oder einem Bracelet zusammengehalten wird.“
„Schön! Dieser Gedanke ist prachtvoll. Die Kette und das Bracelet werden das Bukett zusammenhalten. Ich werde ihr gleich einige Zeilen in das Hotel senden.“
„Da kommt sie nicht.“
„Nicht? Warum?“
„Sie ist eben keine Lohnsängerin. Man muß sie persönlich einladen.“
„So fahre ich gleich zu ihr!“
„Auch davon möchte ich abraten. Es handelt sich hier nicht um einen Sänger, sondern eine Sängerin, darum würde ich raten, daß Frau von Hamberger sich zu ihr bemühe. Einer Dame wird es durch liebenswürdiges Benehmen am besten gelingen, die Sängerin zur Zusage zu bewegen.“
Der Bankier wendete sich schnell an seine Frau:
„Judith, lauf, eile, fahre sogleich! Sei liebenswürdig, höchst liebenswürdig! Mache dich angenehm! Lächle freundlich und streichle ihr die Wangen. Das haben die jungen Damen gern; das weiß ich ganz genau, denn ich habe –“
Er hielt erschrocken inne und verbesserte sich:
„Das weiß ich ganz genau, denn ich habe es oft gehört, obgleich ich niemals solche Wangen streichle. Judith, es ist die Zeit, in welcher du auszufahren pflegst. Fahre nach dem Hotel, gleich, gleich. Ich bitte dich!“
Am liebsten hätte er die Sängerin gleich jetzt schon hier gehabt, um ihrer sicher zu sein. Der Gedanke, in Wien der erste zu sein, bei dem sie sich hören ließ, machte ihn fast betrunken.
Der Graf erhob sich von seinem Sitz und fragte:
„Haben Sie sonst noch eine Frage, mit deren Beantwortung ich Ihnen dienen kann?“
„Für jetzt nicht mehr“, antwortete die Frau des Hauses. „Wir dürfen Sie ja nicht noch mehr belästigen, als es bereits geschehen ist.“
„Oh, ich stehe Ihnen stets und gern mit allen meinen Kräften zur Verfügung. Wenn Sie es genehmigen, so möchte ich Ihnen gern noch einen Rat
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