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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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versteckte ihr Gesicht hinter dem Taschentuch, damit er, wenn er heraufblickte, sie nicht erkennen solle. Ihr Herz bebte; ihr Busen arbeitete heftig.
    „O Gott!“ stöhnte sie leise. „So einer ist er geworden. Nun ist alles, alles aus.“
    Sie ging still hinein in ihre Wohnung und setzte sich auf das Sofa. Es war ihr so unendlich traurig im Herzen, daß sie hätte laut aufschreien mögen. Aber sie bezwang sich. Sie durfte der Wirtin nicht gleich im ersten Augenblick Tränen zeigen.
    Nach einiger Zeit klopfte es draußen an. Frau Salzmann trat ein und brachte die Baronin von Hamberger mit.
    „Fräulein, verzeihen Sie“, sagte sie. „Hier ist meine Freundin, die Frau Baronin von Hamberger. Sie hat mich heut zu sich geladen, und da ich ihr von Ihnen erzählte und ihr sagte, daß Sie so ganz allein sind, bat sie mich, Sie für den Abend mitzubringen. Jetzt möchte sie Ihnen selbst diese Bitte wiederholen.“
    Leni hatte sich erhoben. Das Auge der jüdischen Baronin ruhte forschend auf ihr. Die Dame hatte sich diese Sängerin ganz anders gedacht. Diese zwar schöne, ja herrliche Figur, nur in ein so unscheinbares Gewand gekleidet, sollte ein Komet sein.
    „Sie, Sie sind die Sängerin Ubertinka?“ fragte sie.
    Leni verneigte sich bejahend. Keine Fürstin hätte eine elegantere Verbeugung zeigen können.
    „Bitte, nehmen gnädige Frau Platz!“
    Sie schob den beiden Fauteuils hin, blieb aber selbst stehen. Jetzt hatte sie ganz die Haltung einer vornehmen Dame, welche zwei Bittende vor sich sieht. Die Baronin begann in verbindlichem Ton:
    „Meine liebe Frau Salzmann hat Ihnen gesagt, welche Bitte mich zu Ihnen führt. Darf ich auf die Erfüllung derselben zählen?“
    Leni richtete einen durchdringenden Blick auf das Gesicht der Sprecherin und fragte:
    „Wußten Sie, bevor Sie mit Frau Salzmann sprachen, daß ich hier zu finden sei?“
    „Ja.“
    „Von wem?“
    „Die Besitzerin des Hotel de l'Europe sagte es mir.“
    „So haben Sie mich dort gesucht?“
    „Ja.“
    „Woher wußten Sie, daß ich dort logiere?“
    „Ihr Name stand in der Fremdenliste.“
    Lenis Blick übte eine solche Macht auf die Baronin aus, daß sie offen sagte, was sie hatte verschweigen wollen.
    „Ich verstehe“, lächelte die Sängerin. „Ihre heutige Soiree ist eine musikalische?“
    „Es werden einige Künstler sich hören lassen.“
    „Und ich soll auch singen?“
    „Nein, wirklich nicht, Fräulein. Das muten wir Ihnen nicht zu. Graf Senftenberg hat Sie einen glänzenden Kometen genannt. Wir halten es für eine große Ehre, wenn Sie nur kommen. Singen sollen Sie nicht.“
    Es glitt ein feines Lächeln über Lenis Gesicht.
    „So sagt man uns allemal, im stillen aber erwartet man natürlich, daß wir singen. Ich habe nie danach gestrebt, Gesellschaften zu sehen, und ich habe auch jetzt keine Veranlassung, meine Grundsätze zu ändern. Ich muß Sie also bitten, es mir zu verzeihen, wenn ich, besonders da ich noch von der Reise ermüdet bin, auf die Ehre, heut bei Ihnen sein zu dürfen, verzichte.“
    Die Baronin erschrak. Sie bat:
    „Nehmen Sie dieses Wort zurück, Fräulein Sie finden bei mir eine Gesellschaft, welche allen Ansprüchen genügen wird. Ich darf wirklich ohne Ihre Zusage nicht nach Hause kommen. Bitte, liebe Freundin, stehen Sie mir doch bei!“
    Diese Bitte war an Frau Salzmann gerichtet, welche sich nun so eifrig für ihre Freundin verwendete, daß Leni endlich sagte:
    „Nun, um nicht gleich in der ersten Stunde meines Hierseins unhöflich zu sein, werde ich – kommen und Ihnen auch ein Liedchen singen. Haben Sie eine gute Kraft zur Begleitung?“
    „Nach dieser Ehre wird der Graf von Senftenberg eifrig trachten.“
    „Sie haben diesen Namen nun schon zum zweiten Male genannt –“
    „Er gehört zu den geehrtesten und willkommensten unserer Hausfreunde. Also, ich darf meinen Mann mit Ihrer gewissen Zusage beglücken, Fräulein?“
    „Ja. Ich werde zwei Nummern singen und die Noten für die Begleitung dazu mitbringen, aber das tue ich außerhalb des Programms. Ich komme nicht als Sängerin zu Ihnen.“
    „Nein, sondern als eine junge Freundin, welche mir von jetzt an zu jeder Zeit und Stunde willkommen sein wird.“
    Sie reichte ihr die Hand und entfernte sich mit der Wirtin. Bevor sie sich von der letzteren verabschiedete, fragte diese:
    „Nun, was sagen Sie von meiner neuen Mieterin, liebe Frau Baronin?“
    „Ein Prachtkind!“
    „Meinen Sie das wirklich?“
    „Ja. Beim ersten Anblick machte sie

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