71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
daß Sie nicht den Wiener, sondern den bayrischen Dialekt sprechen. Ich bin eine Bayerin. Sollten wir vielleicht Landsmänninnen sein?“
„Aane Bayrische sind 'S? Wirklich? Oh, wie mich das gefreut. Gar aane aus dem lieben, schönen Bayeraland, die nun allhier bei uns wohnen wird. Da bitt ich halt gar schön, daß wir miteinander so reden wie daheim, wann es Ihnen recht ist. Nicht wahr?“
„Oh, mir ist's halt nicht nur recht, sondern sogar lieb. Ich hab meine Heimatsprach so lang nicht vernommen, denn in dem Italien hab ich immer italienisch reden mußt, und wenn man mal einen Deutschen treffen tat, nachher mußt man mit ihm stets nur Hochdeutsch plauschen. Das ist freilich auch gar schön, aber so, wie man im Bayern spricht, das ist noch viel schöner. Geben 'S mir halt Ihre Hand. Wir wollen als Landsmänninnen recht gut zusammenhalten.“
Martha zögerte, dieser freundlichen Aufforderung nachzukommen.
„Nun, warum schlagen 'S nicht eini?“ fragte Leni.
„Das darf ich halt doch nicht wagen.“
„So? Warum denn nicht?“
„Weil ich eine arme, geringe Dienstboten bin, während Sie eine so berühmte Künstlerin sind.“
„Ach was, Künstlerin. Da können 'S mich fast bös machen. In dera Fremd freut man sich allemalen, wenn man jemand aus dera Heimaten trifft. Und eine so große Künstlerin bin ich gar nicht, und berühmt auch nicht. Geben 'S also nur Ihre kleine Patschen her!“
„Na, wann 'S das so extra verlangen, so muß ich es halt schon tun. Grad daraus kann ich ersehen, daß Sie eine echte Bayerin sind, weil 'S keinen Stolz und Hochmuten besitzen.“
Sie legten die Hände ineinander.
„Ich möcht wissen“, sagte Leni dabei, „woher bei mir dera Stolz kommen sollt und auf was ich hochmütig sein könnt. Ich weiß nix davon!“
„Schaun 'S nur andern Künstlerinnen an!“
„Gehen 'S mit denen! Das wären mir die Richtigen. Wann's einen Triller machen können und zwei Arien singen, nachher denken's, daß sie Künstlerinnen sind. Oh, zu einer solchen gehört gar sehr viel. Ich weiß das. Was hab ich mir für Mühe geben müssen über zwei Jahren lang, und noch immer bin ich lange nicht fertig. Ich bin ja eben hier, um beim Professoren noch in die Schul zu gehen. Also auf meine Kunst kann ich nicht stolz sein, und auf was anderes auch nicht.“
„O freilich doch!“
„So? Worauf denn?“
„Darauf daß – daß – daß Sie eine gar so Hübsche sind.“
Dabei glitt ihr Auge mit einem bewundernden, neidlosen Blick an Lenis Gestalt herab.
„Meinen 'S das wirklich?“ lächelte diese.
„Ja, Sie sind wohl gar eine große Schönheiten.“
„Nun, was das betrifft, so kann ich mir daraufi gar nix einbilden. Das Gesichterl und die Gestalt hat mir dera Herrgott geben. Ich selbst hab gar nix dazu tan; wie sollt ich also stolz sein? Und wissen 'S, daß die Schönheit gar manchesmal ein Unglück ist? Das hab ich auch bereits erfahren. Eine Sängerin, wann sie hübsch ist, muß sich doppelt in acht nehmen, überhaupt jedes Dirndl, wann's schön ist. Und da brauchen 'S mich halt nicht zu beneiden, denn Sie sind wenigstens ebenso hübsch wie ich.“
„Das sagen 'S nur aus Freundlichkeiten!“
„O nein, daß auch Sie sich auf diese Gottesgab nix einbilden, das seh ich wohl. Sie haben so eine stille Wehmut im Gesicht, als ob 'S schon viel Trübes erlebt hätten.“
„Da haben 'S gar richtig geraten. Und auch Sie schauen gar nicht so aus, als ob 'S das Leben sehr gut mit Ihnen gemeint hätt.“
„Mach ich so ein Gesicht? Nun, es hat halt ein jeder und eine jede die Last zu tragen, die der Herrgott sendet, damit keiner übermütig werden soll. Ich hab gar viel derlebt, Gutes und auch Böses, und das letztere ist halt schuld, daß nicht immer heller Sonnenschein auf meinem Gesicht zu sehen ist. Wissen 'S, was ich früher gewest bin? Raten 'S mal!“
„Ich denk mir halt, daß Ihre Eltern gar vornehme Leutln gewest sein müssen.“
„Warum?“
„Weil Sie so was an sich haben, so was Apartes, wegen dem man sich nicht leicht an Sie wagen mag.“
„Das ist nicht eine Folge der Geburt, sondern eine Folge der bösen Erfahrungen. Ich hab halt keine Eltern mehr. Ich war eine ganz arme Sennerin, bevor man entdeckte, daß ich eine gute Stimme habe.“
„Was? Eine Sennerin, also eine gewöhnliche Dienstbotin wären 'S gewest?“
„Ja, weiter nix.“
„Wo denn?“
„Gar nicht weit von dera Grenz, über welche man in das Salzburgische kommt. Ach, Herrgottle, damals war ich ein gar
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