71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
mit wohlgefälligem Blicke musternd, hinzufügte:
„Man ist es ja gewöhnt, nicht sofort Beifall zu finden; aber die Damen sind gewöhnlich so liebenswürdig, ihren Widerstand bald aufzugeben.“
„Von Widerstand ist bei mir keine Rede. Ihre Offerte ist doch keine Attacke, welche ich abzuschlagen hätte.“
„Vielleicht doch!“
„Nun, so würde ich die Abwehr wohl anderen Personen überlassen.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich würde das Zimmer verlassen und Ihnen das Dienstmädchen schicken.“
„Signora!“ fuhr er auf.
„Herr Goldmann!“
„So etwas ist mir noch nicht gesagt worden!“
„Und in solcher Weise hat mir noch kein Mensch ein Engagement angetragen!“
Er war wirklich erzürnt. Doch konnte ihm als erfahrenen Agenten es nicht entgehen, welch eine Acquisition dieses wunderschöne Mädchen für ihn sei. Wenn ihr Ruf, in Beziehung ihrer Gesangsleistungen, nicht allzusehr übertrieben hatte, so war diese Ubertinka allerdings eine Person, an und mit welcher ganz bedeutende Summen verdient werden konnten. Diese Betrachtungen söhnten ihn mit ihrem schroffen Auftreten aus. Er zuckte lächelnd die Achsel und meinte:
„Regen wir uns nicht auf! Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Verzeihen Sie mir die meinigen. Wenn Sie mich auch mit meiner Offerte abweisen, so lassen Sie mich doch einmal Ihre Stimme hören. Bitte, kommen Sie!“
Er trat zum Pianino, öffnete es und setzte sich an dasselbe.
„Bitte, singen sie mir einmal das Stabat mater! Ich möchte es grad von Ihnen einmal hören.“
Er war es gewöhnt, daß Sänger und Sängerinnen sofort auf solche Wünsche eingingen. Er war auch jetzt überzeugt, daß Leni seiner Aufforderung nachkommen werde. Darum machte er es sich auf dem Musikstuhl bequem, griff in die Tasten und begann das Vorspiel. Als dann nach zwei Takten die Singstimme einzufallen hatte, drehte er sich zu Leni um und sagte:
„Nun bitte, jetzt –!“
Er sprach nicht weiter und hörte auch mit dem Spielen auf. Leni war, mit dem Rücken nach ihm gewendet, vor ihrem offenen Koffer niedergekniet und kramte in dem Inhalt desselben herum. Sie tat gar nicht, als ob er vorhanden sei.
Er schritt auf sie zu.
„Aber, Signora, was tun Sie da?“
„Sie sehen es ja! Ich packe aus.“
„Ich denke, Sie wollen singen!“
„Wer hat das gesagt? Etwa ich?“
Sie blieb knien und blickte zu ihm auf.
„Hm! Sie allerdings nicht. Aber da ich Sie bat, so verstand es sich doch ganz von selbst, daß Sie –“
Da aber fuhr sie, ihn unterbrechend, aus ihrer knieenden Stellung empor und fiel blitzenden Auges ein:
„Was verstand sich ganz von selbst? Daß ich singen mußte? Weshalb? Weil sie es wünschten? Wer sind Sie? Ein Fremder, den ich nicht gerufen habe. Daß Sie nebenbei Agent sind, ist mir gleichgültig. Ich bedarf keines Agenten. Wollte ich jedem Fremden, der zu mir kommt, das Stabat mater, die Gnadenarie oder sonst was vorsingen, so könnte ich mich am liebsten gleich in dem Wurstlprater hören lassen. Sie haben hier das mindeste Recht, zu erwarten, daß ich Ihnen eher als anderen etwas vortrage. Das merken sie sich!“
So etwas war ihm noch nicht gesagt worden, und in diesem Ton erst recht nicht. Er war vor ihr zurückgewichen, Schritt um Schritt, und sie ihm aber ebenso Schritt um Schritt nachgefolgt. Jetzt antwortete er erschrocken:
„Signorina! Bitte, bitte! Sie machen mich ja zum Fürchten!“
„Gut. So fürchten Sie sich!“
„So war es ja nicht gemeint!“
„Meinen Sie es, wie Sie wollen; ich aber nehme es, wie ich es will!“
„Wenn Sie wüßten, wegen welchen Engagements ich zu Ihnen komme, würden Sie freundlicher sein.“
„Ich brauche keins!“
„Sie sollen ja gar nicht an ein Theater!“
„Wohin denn? Etwa an eine Windmühle oder an ein Karussell?“
„Mein Gott, besänftigen Sie Ihren Zorn! Es handelt sich um eine Musteraufführung –“
„Zu welcher ein Musteragent die Engagements trifft! Ich danke!“
„Jetzt beleidigen Sie mich persönlich. Es ist eine neue Oper, welche aufgeführt werden soll.“
„So führen Sie dieselben doch in Gottes Namen auf! Meinetwegen ganz allein!“
„Das geht nicht. Das Werk ist betitelt ‚Götterliebe‘. Ein herrlicher Titel!“
„Meinetwegen Affenliebe!“
„Gnädiges Fräulein! Hören Sie doch! Der Text stammt aus Ägypten!“
„Ich hätte auch nicht das mindeste dagegen, wenn er aus China stammte!“
„Der Komponist ist ein Baron!“
„Das schadet ihm nichts.“
„Kaum zwanzig Jahre
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