71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
verschwand mit ihm hinter der Buschecke, hinter welcher sie vorher hervorgetreten waren.
Bei seinen frechen Worten war Leni glühend rot geworden. Wie in instinktiver Abwehr wendete sie sich an den Grafen:
„Glauben 'S das dem Menschen nicht, gnädiger Herr! Wir sind beide arme Dirndl, aber was Böses nachsagen, das kann uns kein Mensch als nur dieser Lodrian.“
„Ich glaube Ihnen das sehr gern“, antwortete der Graf freundlich, indem er vom Pferd stieg. „Gesichtszüge, wie Sie haben, können nicht lügen. Daß Sie brav sind, das brauchen Sie gar nicht erst zu versichern. Bitte, wo wohnen Sie?“
„Auf dera Mohrengasse.“
„Werden Sie mir gestatten, Sie wenigstens so weit zu begleiten, bis Sie in eine belebtere Gegend kommen?“
„Ja, bitt schön, kommen 'S mit! Denn wir müssen halt gewärtig sein, daß sonst die beiden Strauchritter uns abermals belästigen.“
Der Graf warf seinem Reitknecht den Zügel zu und schloß sich den beiden Mädchen an.
Er in der Mitte, gingen die drei den Weg zurück, den die ersteren gekommen waren, zunächst ohne zu sprechen. Der Graf betrachtete sich dabei verstohlen Lenis Gesichtszüge.
Das waren nicht die Züge eines Dienstmädchens; ihnen hatte die geistige Arbeit ihren Stempel, ihr Gepräge aufgedrückt. Dieses Gesicht war von einer eigenartigen, ausgesprochenen Schönheit, mild und doch kräftig, zart und doch frisch trotz der Blässe der Wangen. Diese dunklen Augen besaßen die Gewalt des Blitzes, und doch schauten sie jetzt so mild in den kalten Nachwintertag hinein. Welch einen seltenen Wohllaut hatte ihre Stimme! Er konnte fast den Blick nicht von diesem Mädchen wenden.
Und nun ihr Verhalten gegen ihn selbst! Er konnte darüber gar nicht klar werden. Tausend andere hätten, als er seine Begleitung anbot, dieselbe mit fulminanten Danksagungen zurückgewiesen; sie aber hatte sie als ganz selbstverständlich angenommen. War das der Mangel an Bildung, der bei einem Dienstmädchen freilich nicht auffallen konnte? Oder war es etwas Anderes – Rätselhaftes, zu dessen Lösung ihm leider die Zeit fehlte.
Er stand vor ihr wie vor einem Geheimnis, von welchem man weiß, daß sich, wenn der Vorhang hinweggezogen wird, etwas wahrhaft Schönes zeigen muß – aber eben ist dieser Vorhang leider unberührbar.
Ganz wider alles Erwarten war Martha die erste, welche das Wort ergriff. Sie wendete sich an den Grafen:
„Nun werden 'S gar viel Ärger und wohl auch noch Schlimmeres haben dafür, daß Sie sich unserer so gut angenommen haben. Es tut mir so leid, daß wir Ihnen halt nur danken können.“
Sie bediente sich des bayrischen Dialektes, weil Leni vorher dasselbe getan hatte.
„Bitte, haben Sie keine Sorge um mich“, antwortete der Graf. „Diese Herren sind nicht imstande, mir den geringsten Schaden zuzufügen.“
„Aber sie haben doch gar vom Duell sprochen!“
„Gesprochen, ja. Aber kein anständiger Mann wird sich mit solchen Leuten schlagen. Sie scheinen alte Bekannte zu sein?“
Diese letztere Frage war an Leni gerichtet. Sie blickte ihm voll und offen in das männlich schöne Gesicht und antwortete:
„Ja, wir haben uns kannt. Er ist mein Bräutigam gewest. Seit er aber ein so berühmter Sängern worden ist, hat er mich vergessen habt.“
Es war ein Blick unendlichen Erstaunens, welchen der Graf auf die Sprecherin warf.
„Ihr Bräutigam! Wunderbar! Wer von beiden hat denn das Verhältnis gelöst?“
„Er. Ich bin ihm treu blieben bis heut, ohne ihn jahrelang zu derblicken. Nun ich aber sehen hab, auf was für eine Stufen er heruntergestiegen ist, so ist's schad um jeden guten Gedank, den ich noch für ihn haben könnt.“
„Hatten Sie sich mit Absicht hier getroffen?“
„Das hätt mir nicht einfallen könnt. Wir haben keine Ahnung habt, daß er uns begegnen wird. Schön aber ist's, daß er eine so gute Lehr erhalten hat. Und dera Baron noch besser. Erst hab ich ihm die Nasen überstülpt hier mit meinen Fäusten, und nachher haben 'S ihm, gnädiger Herr, mit der Peitschen einen Gedankenstrich übers Gesichten macht, an dem er gar lange Zeiten zu kurieren haben wird. Grad so und nicht anders muß es solchen Leutln ergehen!“
Sie lachte befriedigt auf, so glockenhell und rein. Dabei betrachtete sie ihre beiden ‚Fäusten‘, mit denen sie sich so kräftig gewehrt hatte.
Der Graf schüttelte leise den Kopf. Was sollte er denken? Was war das richtige? So wie sie jetzt, konnte nur eine gewöhnliche Älplerin sprechen. Und doch lag grad
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