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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einen so wertvollen Diamanten trug, daß man den Besitzer für einen sehr wohlhabenden Mann halten mußte. Dieser letztere hielt eine der bedeutenderen Zeitungen, in welcher er gelesen hatte, in der Rechten.
    Das alles hatte der Graf mit einem Blick übersehen. Er war überzeugt, bei diesem Herrn Platz nehmen zu können, ohne die Würde seines Standes zu beleidigen. Darum verbeugte er sich, höflich grüßend.
    „Würden Sie mir einen Platz erlauben, mein Herr?“
    Der Fremde erhob sich, erwiderte die Verbeugung in militärischer Haltung und antwortete:
    „Gern. Nehmen Sie ungeniert Platz!“
    Ein herbeigekommener Kellner nahm dem Grafen Hut und Überrock ab und erhielt die erwarteten Befehle. Dann zog der letztere seine Karte hervor und überreichte sie, indem er sich niederließ, dem Gast.
    ‚Horst Arnim Graf von Senftenberg‘ stand unter der Grafenkrone.
    Der andere stellte sich dann durch die seinige vor, auf welcher zu lesen war ‚Josef von Brendel, Königl. Bayr. Hauptmann a.D.‘
    So etwas hatte der Graf erwartet. Der Unbekannte war nach seinem ganzen Habitus ein alter Offizier.
    Die Unterhaltung, welche nun zwischen beiden geführt wurde, befriedigte den Grafen außerordentlich. Das Auftreten des Hauptmanns war beinahe originell. Er bewegte sich in kräftigen, scharf bezeichnenden Ausdrücken, ohne aber im geringsten gegen die Umgangsformen der feineren Gesellschaft zu verstoßen. Er zeigte gesunde Lebensansichten, entwickelte reiche Erfahrungen und schien in allen Schichten der Bevölkerung eingehende Studien gemacht zu haben.
    Der Graf hatte die angenehme Empfindung, daß er diesen Mann recht bald lieb gewinnen könne. Derselbe war jedenfalls ein Charakter, an welchem kein Falsch zu finden war.
    Zwar zeigte er sich zurückhaltend, wenn der Graf eine inhaltsvolle künstlerische oder wissenschaftliche Bemerkung machte, zu deren weiterer Ausführung tiefe Fachkenntnisse gehörten, aber von so einem alten, wackern Haudegen war doch unmöglich zu verlangen, daß er sich auch mit eingehenden philosophischen und ästhetischen Studien befaßt habe.
    So folgte eine Minute der andern wie im Flug, und der Graf fand keine Zeit, an die schöne Älplerin zu denken. Da wurde die Portiere abermals geöffnet, und in derselben erschien – der Kommerzienrat.
    „Ah, Graf Senftenberg!“ rief er erfreut. „Das ist eine angenehme Überraschung.“
    „Sie, Herr Baron?“ erwiderte der Graf. „Sie konnte ich am allerwenigsten hier erwarten. Ich mußte natürlich glauben, daß Sie mit den Vorbereitungen zu Ihrer Soiree beschäftigt seien. Bitte, Platz zu nehmen!“
    „Was gibt es da vorzubereiten? Nichts. Ich hatte einem Geschäftsfreund eine eilige Angelegenheit vorzutragen und war meine Kehle während des vielen Sprechens so trocken geworden, daß ich den Schritt hierher lenkte, um der Stimme ihre frühere Elastizität wiederzugeben. Ich sehe, daß Sie sich bereits im Gesellschaftshabitus befinden, also können wir nachher gleich zusammen zu mir gehen.“
    „Sehr gern! Gestatten die Herren, sie einander vorzustellen! Herr Kommerzienrat Baron von Hamberger – Herr Hauptmann von Brendel, Bayern.“
    Die beiden Genannten verbeugten sich gegeneinander. Dabei war dem Kommerzienrate anzusehen, daß der Name des Fremden ihn frappierte.
    „Hauptmann von Brendel?“ fragte er. „Ihr Vorname ist Josef, Herr Hauptmann?“
    „Ja.“
    „Sie kommen aus München?“
    „Allerdings, Herr Kommerzienrat.“
    „Hatten Sie nicht die Absicht, hier in Wien unter anderen auch mich mit Ihrem Besuch zu beehren?“
    „Gewiß. Ich hatte mir vorgenommen, mich am morgigen Vormittag bei ihnen vorzustellen.“
    „So freue ich mich, Sie bereits heut zu sehen. Ihre Ankunft ist mir von dem befreundeten Münchener Bankhaus gemeldet worden.“
    „Dann verstößt es wohl nicht gegen die geschäftliche Höflichkeit, Ihnen bereits heut Einsicht in diese wenigen Zeilen zu geben. Der Herr Graf werden das wohl freundlichst entschuldigen.“
    Er zog einen fünffach versiegelten Brief aus einem eleganten Portefeuille und reichte ihn dem Kommerzienrat hin.
    Dieser prüfte nach geschäftsmännischer Gewohnheit genau die Aufschrift, welche seine eigene Adresse enthielt und die Siegel, welche zweifellos diejenigen des betreffenden Bankhauses waren. Dann öffnete er und las:
    „Herrn Kommerzienrat Baron Hesekiel von Hamberger
    Wien.
    Sie wollen dem Vorzeiger dieses, dem Königlich Bayrischen Hauptmann a.D. Herrn Josef von Brendel auf unsere Rechnung und

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