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71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Geisteskräfte gewesen wäre, hätte seine Häßlichkeit dadurch nur wenig verbessert werden können.
    Kurze Beine und lange Arme wie ein Affe, zurücktretende Stirn und ein überweit vorgeschobenes Gebiß; große Ohren, rotstruppiges Haar, eine kleine häßliche Stumpfnase und tiefliegende, triefige Schweinsaugen. So war der Kerl beschaffen. Und dazu paßte sein Anzug, welcher aus lauter zusammengeflickten Fetzen bestand.
    Es war zum Erbarmen, diesen Menschen zu sehen. Und doch –!
    „Nimm den Kratzer! Wir müssen dem Grafen die vollen Patronen aus den Revolvern nehmen und taube dafür hineinstecken.“
    Da gewannen seine Züge Leben und Bewegung. Er öffnete einen an der Mitte der Wand stehenden Schrank, welcher voller Kleider hing, kroch hinein und verschwand.
    Die Bäuerin folgte ihm. Der Schrank hatte keine Rückwand. Aus ihm trat man in einen fensterlosen, dunkeln Raum, jedenfalls das ‚Kabinett‘, von welchem der Baumeister gesprochen hatte. Ein leises Klirren ließ sich hören.
    „Hast ihn?“ fragte sie leise.
    „Ja. Alles!“
    Nun trat sie an die Gegenwand. Dort gab es zahlreiche, kleine Löchelchen, welche jenseits durch das Muster der Tapeten maskiert waren. Die Bäuerin blickte hindurch.
    „Es ist niemand in dera Schlafstube. Mach aufi!“ flüsterte sie.
    Ein leises, fast unhörbares Rauschen ließ sich hören. Es wurde hell. Jenseits im Schlafzimmer des Grafen stand ein Ofen an der Wand. Dieser Ofen trat zurück, auf Gummirädern rollend, die man drüben nicht bemerken konnte, da der Sockel des Ofens stehen blieb.
    Jetzt traten die beiden in die Schlafstube. Der Knecht huschte mit der Schnelligkeit und Behendigkeit einer Katze nach der anderen Tür, welche zum Wohnzimmer führte, trat hinein und kam wieder zurück, die zwei geladenen Revolver des Grafen in der Hand.
    „Sind wir sicher?“ fragte sie.
    „Ja.“
    „Hast genau nachsehen?“
    „Von da drin aus sieht man alles. Der Graf sitzt unter dem Baum und trinkt, und der Bursche ist wieder im Stall.“
    Es war wunderbar, wie der Ausdruck seines Gesichtes sich verändert hatte. Aus seinen Augen leuchtete das klarste Verständnis. Seine Wangen röteten sich. Es war, als ob der Blick der Bäuerin, ihr Wille allein ihn aus einem niederen Wesen in ein höheres verwandeln könne.
    Und wie schnell hat er die Arbeit vollendet. Nicht eine Minute hatte er gebraucht. Dann legte er die kleinen Waffen wieder hinaus auf den Tisch.
    Sie kehrten auf demselben Wege, auf welchem sie gekommen waren, wieder nach dem Schlafzimmer der Bäuerin zurück. Der Ofen rückte wieder an seine Stelle. Niemand konnte bemerken, daß jemand dagewesen sei.
    Die Bäuerin setzte sich auf einen Lehnstuhl, welcher unweit des Fensters stand. Der Knecht schob ein Fußbänkchen hin, aber nicht, damit sie die Füße darauf stützen solle, sondern er setzte sich darauf, legte den Ellbogen in den Schoß der schönen Frau und stemmte seinen Kopf auf die Hand.
    So saßen sie ganz in derselben Stellung, wie ein Kind sich zu den Füßen einer geliebten Mutter niederläßt.
    Die Augen des Blödsinnigen strahlten jetzt förmlich vor Liebe und Wonne. Er blickte erwartungsvoll zu ihr auf.
    „Bastian“, sagte sie in leisem Ton, „kannst du den Grafen leiden?“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Warum nicht?“
    „Er will dich fangen.“
    „Ja. Wird er mich bekommen?“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Nein. Lieber sterbe ich!“
    Sie legte ihm die Hand auf das wirre, rote Haar. Ein wonniges Zittern durchlief seinen Körper. Er holte tief und laut Atem, fast schnurrend, wie eine gestreichelte Katze.
    „Ich habe mit ihm gewettet“, sagte sie.
    „Was?“
    „Er will mich in dieser Woche fangen.“
    „So fangen wir ihn!“
    Das kam im verächtlichsten Ton hervor.
    „Das will ich auch.“
    „Wann soll dies geschehen?“
    „Heut noch.“
    „Ich freue mich darauf.“
    „Um neun Uhr geht er fort, nach der Försterei zu. Du kannst die Anzüge besorgen.“
    „Machen wir ihn tot?“
    „Nein. Er soll leben bleiben.“
    „Aber einen Hieb auf den Kopf?“
    „Ja. Er muß besinnungslos werden.“
    „So nehmen wir den Totschläger mit. Wie hoch ist die Wette?“
    „Fünftausend Mark.“
    Die Höhe dieser Summe machte nicht den mindesten Eindruck auf ihn. Sein Gesicht veränderte sich ebenso wenig als ob sie gesagt hätte einen Pfennig.
    „Du bekommst auch etwas davon“, sagte sie.
    Er starrte sie wie abwesend an und antwortete nicht. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen. Seine Augen waren

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