71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
erklangen seine langsamen Schritte. Er schien sich Zeit zu nehmen. Er kam heran. Da ertönte zu seiner linken Hand:
„Grüß Gott, Graf Münzer! Sie wünschen, mich festzunehmen?“
Da, wo die dumpfe Stimme erklungen war, trat der Samiel aus dem Dunkel der Bäume heraus – Bastian.
„Alle Teufel!“ entfuhr es dem Offizier.
„Nun, greifen 'S zu!“
„Das werde ich tun!“
Der Graf war wirklich keine Memme. Den Revolver in der Linken schußfertig, faßte er den Samiel an der Brust.
„Ergib dich!“ gebot er. „Widerstand würde vergeblich sein.“
„Graf und Wurm! Ich mich dir ergeben! Komm her!“
Der Samiel faßte ihn mit riesiger Kraft hüben und drüben an den Hüften und hob ihn empor, um ihn zur Erde zu schmettern.
Diese Situation benutzte der Graf, den Lauf des Revolvers nach dem Kopf seines Feindes zu richten. Er gab Feuer – ohne Wirkung; kein Schuß ging los.
„Ah, willst mich derschießen!“ klang es dumpf unter der Maske hervor. „So schieß. Ich hab nix dagegen!“
Der Samiel setzte den Grafen behutsam wieder auf die Erde nieder. Sofort riß der letztere den anderen Revolver hervor und drückte ab – mit demselben Mißerfolg. Er schäumte vor Wut.
„Verdammte Patronen!“ schrie er. „Aber hier ein anderes. Ergibst dich oder nicht?“
Er trug ja stets den Degen bei sich und zog jetzt blank.
„Fallt mir nicht ein! Stich zu!“ antwortete der Samiel.
„So fahre zum Teu –“
Er konnte nicht aussprechen. Die Bäuerin hatte sich ganz an ihn geschlichen, von hinten natürlich, und ihm mit dem Totschläger einen Hieb versetzt, der ihn sofort betäubte. Er fiel zur Erde nieder.
Sie selbst aber kniete neben dem Grafen nieder, nahm ihm die Uhr, den Geldbeutel, die Brieftasche und zog ihm sodann sämtliche Ringe von den Fingern. Das alles steckte sie ein. Die Taschen der Hosen waren wahre Säcke. Es ging da viel hinein.
Nun wurde er hart am Weg an einem Baume aufgerichtet und aufrecht dort angefesselt. Die Laterne wurde angebrannt und ihm in eins der Knopflöcher befestigt.
„Hast einen Zettel schrieben?“ fragte die Bäuerin.
„Zwei. Wir brauchen ja heut abend noch einen.“
„So steck ihn an.“
Der Graf erhielt ein viereckiges Stück Papier mittels einer Nadel angeheftet. Darauf stand in ungelenker, unorthographischer Schrift:
‚Der Samiehl ißts gewäsen.‘
„Jetzt fort!“ gebot die Bäuerin.
Sie huschten nach dem Ort, an welchem sie sich umgezogen hatten. Dort legte die kühne, verbrecherische Frau die männliche Kleidung ab, welche Bastian zu verstecken hatte, und kehrte nun spornstreichs auf demselben Weg, den sie gekommen war, wieder zurück.
Als sie wieder unter der Tanne vor dem Kronenhof anlangte, war seit ihrer Entfernung von dort gar nicht viel über eine Viertelstunde vergangen. Sie setzte sich grad so wieder hin, wie sie vorher dort gesessen hatte.
Von ihrem Platz aus konnte man das Licht des brennenden Laternchens ganz deutlich sehen. Die Luftlinie von hier bis dort war keine beträchtliche.
Sepp und Fritz hatten, weil sie später zum Essen gekommen waren, auch später aufgehört. Dann waren sie rekognoszieren gegangen. Sie hatten weder die Bäuerin noch den Bastian gesehen.
Als sie dann abermals in den Stall kamen, lag er auf der Streu.
„Wo warst du?“ fragte der Fritz.
„Garten“, war nach der lakonischen Art und Weise der Geistesschwachen seine Antwort.
„Was hast dort macht?“
„Birnen sucht.“
„So! Liegen welche?“
„Nein.“
Sie traten aus dem Stall.
„Komm in den Garten“, meinte der Sepp.
„Wozu?“
„Wenn Birnen liegen, so war er nicht hier und hat uns belogen.“
Es lag Fallobst genug am Boden, als sie hinaus kamen. Der Bastian hatte also gelogen und war irgendwo anders gewesen. Aber wo?
„Laß uns weiter nach der Bäuerin suchen“, meinte der Sepp.
Sie fanden sie nun auf der Bank unter der Tanne.
„Setzt euch nieder“, sagte sie freundlich. „Es ist so schön im Freien heut abend.“
„Da hast recht“, antwortete der Sepp. „Bist wohl bereits lange hier?“
Die Bäuerin glaubte, die beiden seien erst jetzt aus der Stube gekommen, und darum antwortete sie unbesorgt:
„Schon seit dem Abendessen.“
Das war nicht wahr. Sie hatte also mit dem Bastian ein Geheimnis gehabt. Aber was für eins war das?
Der Sepp hatte sich dicht neben sie gesetzt. Da für den Augenblick niemand sprach, war es sehr still rund umher. Da hörte er das leise, unterdrückte Ticken einer Uhr.
Das Geräusch schien
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