Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil

Titel: 71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
ganze Innere überschauen konnte.
    Die beiden schlichen sich leise hinan und guckten hindurch.
    Das Innere wurde durch einen brennenden Kienspan erleuchtet. Einen Ofen gab es nicht. Eine auf mehreren Feldsteinen ruhende Platte bildete den Herd. Der Rauch konnte sich, da es keinen Schornstein gab, den Ausweg ganz beliebig suchen. An Möbeln war ein Schemel, ein alter Tisch und ein Brett, auf welchem die wenigen vorhandenen Koch- und Tischgefäße standen, vorhanden. Auch von Bettstellen war keine Rede. Die eine Hälfte des Raumes war fußhoch mit trockenem Wassermoos und Laub bedeckt. Das war das Lager, auf welchem die Glieder der Familie in allen möglichen Stellungen Platz genommen hatten.
    Dort, wo der Kienspan brannte, saß auf einem Baumklotz, welcher den Stuhl bildete, eine abgezehrte, bleiche Frau, welche sich Mühe gab, ihrem vor Hunger schreienden Säugling die Nahrung zu geben, welche in der hageren kranken Brust nicht mehr vorhanden war.
    Martha wendete sich errötend von diesem Anblick ab, und doch standen bereits Tränen des Mitleids in ihren Augen.
    „Klopf an, Fritz“, bat sie leise.
    „Gehst doch allein hinein?“
    „Nein. Du mußt doch auch mit.“
    „Ich?“ meinte er verlegen. „Ich tu es nicht gern.“
    „Warum?“
    „Weil – weil – weil mir das Herz brechen tät, wenn ich so ein Elend schauen müßt.“
    „Wirst dann auch gleich eine desto größere Freuden schauen.“
    „Wenn auch! Ich bleib lieber hier außen.“
    „So geh auch ich nicht hinein!“
    „Martha! Bist so eigensinnig? Das hätt ich nicht dacht.“
    „Nein, eigensinnig bin ich nicht. Ich will dir es auch gönnen und zeigen, was für eine Seligkeiten es ist, wenn man so einem Elend Linderung bringen kann.“
    „Das glaub ich wohl. Aber muß man dann dabei sein?“
    „Nein; das ist wahr.“
    „Also geb ich dir das Geldl. Du nimmst's mit hinein, und ich tu hier warten.“
    „Nein. Ich versteh dich wohl. Du bist halt ein gar guter und edler Bub. Du willst's nicht haben, daß diese Leutln sich bei dir bedanken müssen. Hab ich recht oder nicht, Fritz?“
    Er zögerte mit der Antwort.
    „Nun, sag mir's doch!“
    „Ja, Martha, ich tät wohl ein gar albernes Gesicht dabei machen, wann's sich bei mir bedanken müßten.“
    „Hab ich es mir doch gleich denkt, daß es so ist; aber da kommst bei mir nicht gut an. Wer Böses tut, soll auch die Straf erleiden, und wer seinen Mitmenschen Gutes erweist, der darf sich nicht ihrem Dank entziehen.“
    „Aber dazu fehlt mir das Geschick!“
    „Das wird sich schon einfinden. Weißt, lieber Fritz, wenn diese Leutln sich nicht bedanken dürfen, so tut es ihnen weh. Sie sind keine Bettlern, sondern nur durch die Krankheit so arm worden. Ihr Dank ist das einzige, was sie geben können, und den geben's doch gar so gern. Wer den Dank abschlägt, der wirft eine Last auf die Seele dessen, der empfängt. Die Gabe ist dann nix wert, ja, sie ist ein Weh, welches man den Leutln zufügt. Also gehst mit hinein! Nicht wahr?“
    ‚Lieber Fritz!‘ hatte sie sagt. Wie wohl diese zwei kleinen Worte aus diesem geliebten Mund seinem Herzen taten. Er hätte ihr jetzt viel, viel zu Gefallen tun, ihr in der Überfülle seines Herzens große und schwere Opfer bringen können, und dennoch zögerte er, ihr diese kleine Bitte zu erfüllen. Sein bescheidener Sinn, sein Charakter sträubte sich gegen den Dank, den er voraussichtlich hier empfangen mußte.
    „Also, bitte, bitte, Fritz!“ wiederholte sie, indem sie ihn bei der Hand nahm.
    Er vergaß dieses kleine, liebe Händchen zu drücken und antwortete stockend:
    „Martha, tu mir den einzigen Gefallen, und laß mich hier außen. Ich werd dich hier erwarten.“
    „Nein. Du mußt mit hinein.“
    „Ich kann nicht. Ich reiß aus!“
    „Ich werd schon dafür sorgen, daßt mir nicht entkommst!“
    Sie faßte ihn fest beim Ärmel und klopfte an.
    Drin wurde es still. Sogar der Säugling schwieg auf einige Augenblicke. Die sorgenvollen Gesichter erheiterten sich, und die hungernden Kinder richteten sich von ihrem Lager auf.
    Sie hatten heute vergeblich auf ihre reizende Wohltäterin gewartet. Da es klopfte, hofften sie, daß diese es sein werde.
    „Herein!“ bat die Frau, die Augen mit hoffnungsvollem Blick nach der Tür gerichtet.
    „Martha, laß los! Es wird mir ganz dumm im Kopf, wenn ich mich so anschauen lassen soll!“
    „Ach was! Schau sie nicht an! Dreh ihnen den Rücken zu!“ antwortete sie.
    Während sie ihn mit der einen Hand festhielt,

Weitere Kostenlose Bücher