711 N. Chr. - Muslime in Europa
Nordgrenze stieß die noch immer überschaubare islamische Welt an die Reiche der Byzantiner und der Sassaniden. Im stetigen Ringen um die Erweiterung ihrer Machtbereiche hatten sich beide in lange währenden Kriegen gegenseitig zermürbt. Weder der oströmische Kaiser Herakleios (610–641) noch der sassanidische Großkönig Yazdegerd III. rechnete mit einem Angriff der Anhänger Mohammeds.
Noch zu Lebzeiten des Propheten hatten die Muslime nicht nur im Süden der Arabischen Halbinsel die Niederwerfung gegnerischer Stämme vorangetrieben, sondern auch nach Norden ausgegriffen. Ein erster, noch von Mohammed persönlich geführter militärischer Vorstoß gegen die Byzantiner bei Tabuk im Jahre |28| 629 war allerdings erfolglos verlaufen. Aus dieser Erfahrung erwuchsen die Vorschriften des Korans, die von nun an die Grundlage des sogenannten
dimma- Rechts
bildeten. Dieses regelte die Begegnung und den Umgang mit Angehörigen anderer Buchreligionen. So ergeht in Sure 9 die Aufforderung an die Muslime: »Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören.« Des Weiteren soll der Krieg solange fortgeführt werden, bis die Feinde demütig ihren Tribut an die Muslime entrichten. Symbolisch stellte die
gizya
, die Tributzahlung, die Unterwerfung unter die muslimische Herrschaft dar. Die Bestimmungen folgten der Praxis der ersten Verträge, die Mohammed bei der Unterwerfung der Oasenstädte der Arabischen Halbinsel aushandelte. Der Wortlaut des Korantextes macht in diesem Zusammenhang klar, dass die Bestimmungen ausschließlich für »Schriftbesitzer« gelten sollten. Gemeint waren damit in erster Linie Juden und Christen. Für die Muslime stehen Thora und Neues Testament auf einer niedrigeren Offenbarungsstufe als der Koran. Im Allgemeinen wurden die koranischen Vorschriften auch auf die zahlenmäßig bedeutenden Zoroastrier in Persien angewendet. Die Anwendung der koranischen Regelungen und ihrer späteren Ausführungen im sogenannten »Pakt des Umar« fielen im Alltag je nach Interpretation durch die verschiedenen islamischen Rechtsschulen sowie nach Ort und Zeit unterschiedlich aus. Die grundlegende Vorstellung war, dass die Tributzahlung ein Schutzverhältnis begründete. Juden wie Christen konnten unter muslimischer Herrschaft in der Theorie zwar nicht in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und waren vom Aufstieg in Ämter ausgeschlossen, in denen sie Macht über Muslime ausüben konnten, doch wurden ihnen der Schutz von Leib und Leben sowie von Besitz wie auch die Religionsausübung unter Auflagen gewährt. Mohammed hatte mit seinen Aussagen über den Kampf gegen die Ungläubigen und deren Status nach der Unterwerfung ein Programm vorgegeben, dass sich schon bald in der Praxis bewähren musste.
|26| Erbstreit im Hause des Propheten – Sunniten und Schiiten
Mohammed starb, ohne einen männlichen Nachkommen zu hinterlassen. Ebenso wenig hatte er aus den Rängen seiner Getreuen den Mann bestimmt, der künftig die Geschicke der wachsenden Glaubensgemeinschaft lenken sollte. Wer aber sollte nun Kalif werden, der »Stellvertreter des Gesandten Gottes«, der als religiöses und weltlich-politisches Oberhaupt allen Muslimen vorstand? Aufgrund ihrer engen Beziehungen zu Mohammed und gemeinsamer Familienbande kamen vor allem zwei Getreue der ersten Stunde für die Nachfolge in Frage: Abu Bakr, Mohammeds Schwiegervater, und Ali ibn Abi Talib, Mohammeds Cousin und Schwiegersohn. Die Mehrheit der Muslime sprach sich für den erfahrenen Abu Bakr aus. Ali hatte das Nachsehen. Aus der nie verwundenen Niederlage im Erbstreit um die Nachfolge des Propheten entstand ein Riss in der jungen Glaubensgemeinschaft, der in der Folgezeit immer breiter wurde. Den ersten Nachfolgern Mohammeds, den sogenannten Wahlkalifen, gelang es zunächst noch, die unterschiedlichen Gruppierungen zusammenzuhalten. Der zweite Kalif, Omar, prägte den Titel »Herrscher der Gläubigen« (arab.
amir al-muminin
). Nachdem der dritte Wahlkalif, Othman, der aus den bisher ungeordneten Suren den Koran in seiner noch heute bekannten Form zusammengestellt hatte, im Jahre 656 ermordet worden war, sah Ali erneut seine Stunde gekommen. Obwohl er sich dieses Mal durchsetzte und endlich die langersehnte Nachfolge des Propheten antreten konnte, stand sein Kalifat auf tönernen Füßen.
Mu’awija, der mächtige Gouverneur von
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