711 N. Chr. - Muslime in Europa
ethnischen Auseinandersetzungen unter den Muslimen im eroberten Gebiet, die sich bis über die Mitte des 8. Jahrhunderts hinzogen. Kein Gouverneur (arab.
wali
) blieb lange im Amt.
|64| Covadonga und der Beginn der Reconquista
Südöstlich von Cangas de Onis in Asturien im Gebirge Picos de Europa liegt die wohl bedeutendste Stätte nationaler Erinnerung in Spanien – die Felsenhöhle von Covadonga. Dort befand sich bereits im Mittelalter ein Marienheiligtum. Die »Jungfrau von Covadonga« ist die Patronin Asturiens. An diesem von der spanischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts verklärten Ort, der bis heute Scharen von Besuchern anzieht, soll im Jahre 722 die »Reconquista« der Iberischen Halbinsel begonnen haben. Obwohl es Ziel der 711 von den Muslimen verdrängten westgotischen Führungsschicht sein musste, das verlorene Land zurückzuerobern, wurde der Begriff der Reconquista erst im 19. Jahrhundert geprägt. Die Ereignisse von Covadonga galten seither als Grundstein für die Entstehung Spaniens.
Aus diesem nationalen Mythos lassen sich die tatsächlichen Begebenheiten nur schwer herausschälen. Hinweise in zeitgenössischen Berichten sind spärlich. Die Schlacht von Covadonga erscheint nur schemenhaft im dichten Nebel der Vergangenheit. Ebenso mythenbefrachtet ist der Held der oft erzählten Geschichte, der westgotische Anführer Pelagius oder Pelayo. Erhobenen Hauptes und mit gezogenem Schwert steht er heute als Verteidiger des Kreuzes in Bronze gegossen in Covadonga. Doch wer war dieser Pelayo, der als erster der muslimischen Invasion trotzte?
Die Schriftzeugnisse sagen nur wenig über ihn. Angeblich war er der Sohn eines westgotischen Adeligen namens Fafila, der von der Familie Witizas aus Toledo vertrieben worden war. Will man der asturischen Überlieferung Glauben schenken, war Pelayo »Schwertträger« (
spatharius
) in der Leibgarde des am Guadalete gefallenen Westgotenkönigs Roderich. Nach der Schlacht ging er nach Asturien, wo seine Familie bereits über einiges Ansehen verfügte. Die Legende sagt, Pelayo sei zunächst in die Dienste des Berberfürsten Munnuza getreten. Als dieser aber Pelayos Schwester zur Frau nehmen wollte, rebellierte der Westgote gegen seinen muslimischen Herrn. Er floh in die Berge, um dort den Aufstand |65| zu organisieren. Angeblich wurde er 718 oder erst 719 von den versammelten asturischen Adeligen zum Anführer (
princeps)
gewählt. Die Muslime reagierten zunächst nicht – erst als Pelayo und seine Anhänger zu einer ernstzunehmenden Bedrohung wurden, entsandten sie im Jahre 722 eine Streitmacht gegen die Aufständischen.
In ihrer Schilderung der Schlacht von Covadonga unterscheiden sich die christlichen Zeugnisse deutlich von den muslimischen, zudem sind sie in einigem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen entstanden, was ihre Zuverlässigkeit in manchen Punkten in Frage stellt. Die am Hof König Alfons’ III. von Aragón (866– 910) gegen Ende des 9. Jahrhunderts abgefasste »Crónica Albeldense« berichtet, dass die Muslime einer Schlacht mit Pelayo aus dem Weg gehen wollten. Stattdessen versuchten sie den Abtrünnigen durch Verhandlungen auf ihre Seite zu ziehen, indem sie ihm in Aussicht stellten, seinen Besitz behalten und weiterhin die Herrschaft über seine Ländereien ausüben zu dürfen. Als Verhandlungsführer der Muslime trat gemäß den Ausführungen des Geschichtsschreibers Bischof Oppa von Sevilla auf, welcher der Familie Witizas angehörte. Diese wird in zahlreichen Chroniken beschuldigt, die Westgoten an die muslimischen Feinde verraten zu haben. Der aufrechte Pelayo aber lehnt das Angebot kategorisch ab. Darüber hinaus nimmt er den Verräter Oppa gefangen. Infolgedessen kommt es bei Covadonga zur Schlacht.
Die in den Schriftzeugnissen genannte Truppenstärke ist unglaubwürdig. Die christlichen Quellen sprechen von nahezu 20 000 getöteten Muslimen. Pelayo persönlich habe im Kampf den arabischen Heerführer namens al-Qama getötet. Munnuza, der an der Schlacht nicht teilgenommen habe, sei von Pelayo auf der Flucht gestellt und ebenfalls umgebracht worden. Die Niederlage bei Covadonga habe dazu geführt, dass kein Muslim in der Umgegend übrig blieb. Der Tradition zufolge standen die christlichen Kämpfer unter dem Schutz der »Jungfrau von Covadonga«. Weil die Stätte unter deren Patronat stand, konnte sie von den Muslimen nicht erobert werden.
Ganz anders stellen die muslimischen Geschichtsschreiber die Begebenheit dar.
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