711 N. Chr. - Muslime in Europa
der Widerstand war endgültig gebrochen. Sie fanden das arabische Lager verlassen. Noch in der Nacht hatten die Invasoren sich zurückgezogen. Wie die islamische Geschichtsschreibung berichtet, waren sie auf dem »Weg der Märtyrer« über die Pyrenäen auf die Iberische Halbinsel zurückgekehrt.
Mit ihrem Sieg, an dem die gepanzerten Kämpfer maßgeblichen Anteil hatten, konnten die Franken den Vormarsch der Muslime gen Westen vorerst zum Stillstand bringen. Auch hatten sie das bedeutende Kloster von Tours mit den Reliquien des hl. Martin vor dem Zugriff der Muslime schützen können. Es gelang ihnen jedoch nicht, muslimische Vorstöße in die Gallia westlich der Pyrenäen gänzlich zu unterbinden. Im Jahre 725 drangen die Araber tief ins Herz des Frankenreiches ein – bis nach Autun in Burgund. In Septimanien und in der Gegend von Narbonne hielten sich muslimische Stützpunkte noch bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit änderten sich die Verhältnisse in al-Andalus einschneidend. Ein Flüchtling, der dem blutigen Massaker |71| an seiner Familie als einziger entkommen war, vereinte den Großteil des muslimischen Territoriums auf der Iberischen Halbinsel unter seiner Herrschaft.
Massaker in Damaskus und ein Omaijade im Exil
Damaskus, Herbst 749. »Über ihre Leichen ließ er eine lederne Decke ausbreiten, auf der für jene ein Mahl aufgetragen wurde, die dieser Szene beiwohnten. Und sie speisten, während die Opfer noch röchelten und ihr Leben aushauchten«, weiß der Chronist at-Tabri über das Blutbad zu berichten, dass der erste Abbasidenkalif Abu l-Abbas unter der Omaijadenfamilie anrichtete. Mit Stumpf und Stil wollte der neue Herrscher die alte Dynastie ausrotten. Nicht umsonst trug ihm sein schonungsloses Vorgehen den wenig schmeichelhaften Beinamen »der Blutrünstige«,
as-Saffah
, ein. Doch nicht nur die Lebenden fielen Abu l-Abbas as-Saffah zum Opfer, er wollte jegliche Erinnerung an den verhassten Omaijadenclan auslöschen. So schreckte er auch vor Totenschändung nicht zurück. Er ließ die verstorbenen Omaijaden, darunter auch die Kalifen, aus ihren Gräbern zerren und die Leichname verbrennen. Nach muslimischer Vorstellung fielen die Verstorbenen damit der ewigen Verdammnis anheim.
Begonnen hatte die Revolution gut zwei Jahre zuvor in der fernen persischen Provinz Khorasan. Unter Führung eines Mannes mit dem programmatischen Namen Abu Muslim waren rund 250 000 Araber aus dem heutigen Irak ins iranische Kufa gezogen. Offenbar verstand es Abu Muslim, dessen Vater wahrscheinlich ein zum Islam übergetretener Perser war, die Massen zu mobilisieren und Verschwörungen anzuzetteln. Es galt die Omaijaden zu stürzen und an ihrer Stelle Abu l-Abbas, den Abkömmling eines Onkels des Propheten Mohammed, zum neuen Kalifen zu machen. So zogen rund 100 000 Bewaffnete, unter diesen auch zahlreiche Zoroastrier, für Abu l-Abbas in die Schlacht. Im Jahre 747 besetzten die Aufständischen Merv, die Hauptstadt Khorasans. Von dort |72| rückten sie gegen Nischapur vor, das ebenfalls in ihre Hände fiel. Nachdem Abu Muslim eine omaijadische Streitmacht bezwungen hatte, zog die Anhängerschaft des Abu l-Abbas am 2. September 749 triumphierend in Kufa ein. Dort wurde Abu l-Abbas zum »Beherrscher der Gläubigen« und neuen Kalifen ausgerufen.
Die Omaijaden ließen sich indes nicht kampflos vertreiben. Sie warfen alle Kräfte gegen die Abbasiden ins Feld, mussten jedoch Niederlage um Niederlage hinnehmen. Schließlich zog Kalif Merwan II. selbst in die Schlacht. Am Großen Zab traf er auf das Heer des Abdallah ibn Ali, eines Onkels des Abu l-Abbas. Wieder unterlagen die Omaijaden. Kalif Merwan floh zurück nach Damaskus, doch die Stadttore blieben ihm verschlossen. Gehetzt von seinen Verfolgern, setzte er den Weg nach Ägypten fort. Dort geriet er wenig später in einen Hinterhalt seiner Häscher, die keine Gnade kannten.
As-Saffahs Herrschaft währte nur kurz. Ihm folgte 754 sein Bruder Dscha’far, genannt al-Mansur. Die Geschichtsschreiber stellen ihm ein gemischtes Zeugnis aus: Klug und tüchtig sei er gewesen, habe sich aber auch hart und grausam gebärdet. Charakteristisch war offenbar sein unübertrefflicher Geiz. Nicht von ungefähr kam er zu dem spöttischen Beinamen »Vater der Groschen«. Mehr als zwanzig Jahre lenkte al-Mansur die Geschicke der islamischen Welt. Er verlegte deren Zentrum in seine kreisförmige neue Hauptstadt am Tigris. Im Jahre 762 waren die Arbeiten an der »Stadt des
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