72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
Damit mag diese Angelegenheit abgetan sein. Ich will mir die Zimmer besehen –“ –
Ein wunderbares Ungefähr waltete über dem heutigen Tage. Ein so überraschendes Zusammentreffen der Umstände wird von dem Zweifler Zufall genannt, der gläubige Christ aber nennt es die Fügung Gottes.
Der Graf von Senftenberg war gestern mit einem Himmel im Herzen zur Ruhe gegangen. Süße Träume umgaukeln ihn während der Nacht, und als er am Morgen sich von seinem Lager erhob, erinnerte er sich noch in stiller Seligkeit, die herrliche Sängerin während des Traums in seinen Armen gehalten und von ihr das süße, verschämte Geständnis der Gegenliebe empfangen zu haben.
Nach dem Frühstück besuchte er Kommerzienrats, natürlich nur, um dieselben von Leni sprechen zu hören. Dann, am späten Nachmittage, machte er einen Spazierritt. Und wohin? Selbstverständlich wieder nach dem Augarten. Er mußte die Stelle sehen, an welcher er die Holde gestern getroffen hatte. Da stieg er ab und schickte den Reitknecht mit den Pferden heim. Er wollte den Spaziergang zu Fuß fortsetzen. Es ließ sich da viel besser träumen und sinnen, als wenn man auf das Tier Achtung zu geben hatte.
Er vertiefte sich in eine entlegene Partie der jetzt fast einsamen Anlagen und gelangte da zu einer kleinen Borkenhütte, eine Art Pavillon, welcher von zwei Seiten offen war und einen Blick auf die Gruppen der Bäume und Sträucher gewährte. Der andere Teil des Häuschens war zu. Auch der da angebrachte Laden war verschlossen.
Als der Graf eintrat, bemerkte er, daß der offene Teil mit Bänken versehen war. Ganz ohne eigentliche Absicht rüttelte der Graf an der Tür. Das rostige Schloß oder vielmehr das morsche Holz, in welchem der Riegel steckte, gab nach. Die Tür ging auf.
Bei dem Licht, welches durch die jetzt offene Tür und mehrere Wandritzen eindrang, sah der Graf, daß dieser Ort den Arbeitern des Augartens zur Aufbewahrung verschiedener Gerätschaften diente. Es lagen da Hacken, Harken, Spaten, Schaufeln und auch zwei alte Handkarren.
Die Tür wieder hinter sich zuziehend, kehrte er in den offenen Raum zurück und setzte sich auf eine der Bänke. Er hatte keineswegs die Absicht, auszuruhen, denn er war gar nicht ermüdet. Er tat es, wie man eben etwas tut, weil einem grad nichts Besseres einfällt.
Als er einige Zeit so still und in seine Gedanken versunken gesessen hatte, blickte er hinaus und gewahrte einen Herrn, welcher auf dem schmalen Wege grad auf die Hütte zukam. Er stand auf und zog sich in den Hintergrund zurück.
Der Mann kam ihm verdächtig vor, denn er blieb öfters lauschend stehen, blickte sich scheu um und hatte überhaupt das Gebaren eines Menschen, dem viel daran lag, nicht gesehen zu werden.
Auch das Gesicht kam ihm desto bekannter vor, je weiter der Mann sich näherte. Es war von einem dunklen Vollbart umrahmt.
„Wer ist dieser Mensch?“ fragte er sich im stillen. „Ich habe ihn bereits einmal gesehen, und zwar jedenfalls unter merkwürdigen, für ihn nicht vorteilhaften Umständen. Der Bart, der Bart! Er muß früher keinen getragen haben. Ein guter Mensch ist er nicht. Er kommt hierher. Was will er? Soll ich mich sehen lassen oder mich verbergen?“
Noch ehe er die Frage recht ausgedacht hatte, tat er das letztere. Er trat in den verschlossen gewesenen Raum und lehnte sich so fest gegen die Tür, daß dieselbe nicht aufgestoßen werden konnte.
Dann hörte er, daß der Betreffende eintrat. Er schien sich umzusehen, dann kam er an die Tür und hantierte an derselben herum, um zu probieren, ob dieselbe offen sei oder nicht. Nun setzte er sich nieder, und es ward still da draußen.
Nichts regte sich. Es war dunkel und schmutzig in dem Versteck, und ein fauliger, moderiger Geruch berührte die Nerven des Grafen auf das Unangenehmste. Er wünschte jetzt, sich nicht verborgen zu haben. Da es aber einmal geschehen war, so galt es, auszuharren, bis der Mann sich wieder entfernt hatte.
Da stieß der letztere einen halblauten Pfiff aus und rief sodann:
„Salek, hier!“
Bald vernahm der Graf den Schritt eines zweiten. Dieser sagte, indem er eintrat:
„Ah, Herr Baron, schon hier! Soeben erhielt ich ihre Zeilen und eilte sofort her.“
Diese Stimme kam dem Grafen sehr bekannt vor. Sie wurde aber in dem Raum so eigentümlich gebrochen, daß sie nicht ihre natürliche Färbung hatte.
„Ist mir lieb, daß ich nicht lange zu warten brauchte. Ich teile ihnen mit, daß er endlich hier ist. Ich erfuhr es
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