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72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welchem die dunkle Flut des Haars, dieses echten Haars, hervorquoll und fast bis auf den Boden reichte.
    Wie sie so dastand, war sie wirklich eine göttergleiche Erscheinung, deren Augen ebenso wie die Diamanten durch den Raum blitzten, stolz, selbstbewußt und doch so freundlich mild.
    Ein Sturm des Beifalles rauschte durch den Zuschauerraum. Selbst der König erhob sich für einen Augenblick, von ihrer packenden Schönheit überrascht.
    Aus der Fremdenloge blickte Graf Senftenberg herab. Seine Gefühle waren unbeschreiblich. Dieses entzückende Wesen war sein, sein, sein! In diesem Wort lag eine ganze Welt von Seligkeit.
    Und der Krickel-Anton? Der stand da, mit dem Oberkörper zurückgebeugt und sie wie eine überirdische Erscheinung anstarrend. Wenn er jetzt zu singen gehabt hätte, er hätte nicht einen einzigen Ton hervorgebracht. War denn das wirklich die Muren-Leni, vor der er heut noch ausgespuckt hatte? Konnte diese so schön, so unsagbar schön sein?
    Aber fast noch mehr erschrak er über die Gewalt und den unbeschreiblichen Wohllaut ihrer Stimme, als sie jetzt die Arie begann:
    „In tiefer, stiller Menschenbrust
Da lebt der Liebe süßes Walten.
Der Göttin ist sie unbewußt;
Ihr muß das heiße Herz erkalten.“
    Als sie geendet hatte, war der Beifall geradezu phänomenal.
    Indessen hatte Anton seine Selbstbeherrschung wiedererlangt und konnte das Terzett mit ihr und Odin beginnen. Er wurde von dem Gott mit ihr vermählt, und dann fiel der Vorhang.
    Die Sängerin mußte fünfmal heraus. Das Publikum schien in seinem Beifall gar kein Ende finden zu können.
    Dann aber spielte sich hinter der Szene eine zwar kurze aber hitzige Szene ab.
    Leni wollte sich nach ihrer Garderobe begeben. Da trat ihr Anton in den Weg.
    „Leni, Leni!“ rief er. „Du bist es – du!“
    „Mit wem sprechen Sie?“ fragte sie, ihn strafend anblitzend.
    „Mit dir natürlich, mit dir!“
    „Ich kenne Sie nicht!“
    „Du kennst mich, du kennst mich. Du willst mich nur nicht kennen! Wer hätte gedacht, daß die Muren-Leni –“
    „Es sich gefallen lassen muß, daß ein einstiger Wilddieb vor ihr ausspuckt!“ fiel sie ihm in die Rede.
    „Verzeihe es! Ich ahnte doch nicht –“
    „Mögen Sie geahnt oder nichts geahnt haben, Ihr Verhalten war ein gemeines, ein niederträchtiges!“
    „Nicht so, Leni, nicht so! Ich fühle, daß ich dir Unrecht tat. Aber ich fühle auch, daß ich dich trotz allem heut noch liebe, heiß und unsagbar liebe. Diese Liebe ist, als ich dich vorhin sah, von neuem erwacht und riesengroß wie ein Flammenbrand in mir emporgewachsen. Sie muß mich verzehren, wenn du unversöhnlich bleibst.“
    „Liebe? Was nennen Sie Liebe? Die Ihrige ist kein reines, keusches, läuterndes Feuer, sonder ein rußender, qualmender und erstickender Pechqualm, vor welchem man sich hüten muß. Wir haben unsere Rollen zu singen und zu spielen, sonst aber kennen wir uns nicht!“
    „Leni, ich erkläre dir, daß –“
    Er wollte vor ihr niedersinken.
    „Halt, keine Szene!“ unterbrach sie ihn. „Sie können nie bei mir Erhörung finden, nie, nie, nie! Merken Sie sich das, und denken Sie an den Karnevalsabend in Wien, an welchem Sie mit Ihrer Valeska in der verschlossenen Loge saßen und über mich spotteten! Sie beide waren einander wert. Die Tänzerin sitzt im Zuchthaus, die Tänzerin, die den Einbrecher liebte und Sie nur zum Narren hielt, und Ihre Zukunft, welche wird es sein, wenn Sie sich nicht ändern? Mir graut vor Ihnen und vor ihr!“
    Sie wandte sich ab und verschwand in ihrer Garderobe. Er starrte nach der Tür derselben, ballte die Fäuste, drückte sich dieselben an die Stirn und murmelte zähneknirschend:
    „Anton, Anton, du hast einen Himmel von dir gestoßen! Aber noch ist nicht alles verloren. Sie hat mich geliebt, und so eine Liebe stirbt nicht; das fühle ich jetzt deutlich in mir. Sie muß mich wieder lieben!“
    Und unten in den zwei verborgensten Eckplätzen des Parketts saßen seine Eltern. Sie waren noch nie in ihrem Leben in einem Theater gewesen und fühlten sich vor Bewunderung starr und steif.
    „Mutter“, flüsterte er ihr zu, „hast du so was für möglich halten?“
    „Nein, nie!“
    „Ich bin ganz weg. Mir steht das Maul auf. Ich muß mir Mühen geben, daß ich's wiederum zubringen tu.“
    „Und mir ist's, als sei ich im Himmelreich.“
    „Und doch waren's lauter Götzen.“
    „Nicht Götzen, sonder Göttern. Der Herr Pfarrer hat es uns doch unterwegs derklärt.“
    „Ja so!

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