72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
schmächtiger. Seine blauen Augen hatten ein milderes Licht; er schien ein mehr anschmiegender als ein befehlender Charakter zu sein und machte den Eindruck eines Jünglings, welcher sich erst vor nicht sehr langer Zeit von einem körperlichen und vielleicht auch geistigen Leiden erholt hat.
Beide schienen dem Künstlerstand anzugehören, wenigstens ließ ihre Kleidung dies erraten. Sie trugen sich ganz gleich: blausamtene Schnurenröcke und sehr breitkrempige Künstlerhüte.
Diese beiden waren der einstige Lehrer von Hohenwald, Max Walther, und sein jüngerer Freund Johannes Weise, welcher daheim der Elefanten-Hans genannt worden war. Sie kehrten aus Ägypten zurück, wo beide auf Kosten König Ludwigs gewesen waren, hatten gestern das Schiff verlassen und beabsichtigten, für einige Tage in Triest und Umgebung herumzustreifen und besonders sich das berühmte Schloß Miramare anzusehen, den Lieblingsaufenthalt des so unglücklich geendeten Kaisers Max von Mexiko.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, die lebenden Bilder studierend, welche die schmutzige Gasse ihnen bot.
Da kamen sie an das Häuschen des Juden. In den kleinen, gewiß seit Jahren nicht geputzten Fenstern lagen allerlei getragene Gegenstände, wie sie sich in dem Lagerraum eines Althändlers anzuhäufen pflegen. Auch Bücher, Karten und alte Bilder waren zu sehen.
Der Elefanten-Hans, von Max Walther natürlich bei seinem wirklichen Vornamen Johannes genannt, blieb stehen und betrachtete sich das alte Firmenschild, welches über der Haustür angebracht war. Die Inschrift war kaum mehr zu lesen. Sie war italienisch und deutsch und lautete in letzterer Sprache: ‚K.K. privilegiertes Antiquariat und Gemälde-Verkauf von Baruch Abraham‘.
„Ein Antiquariat mit Gemälde-Verkauf“, lachte Johannes. „Da wird nicht viel zu finden sein!“
„Da kannst du dich doch vielleicht irren“, antwortete Max. „Solchen alten Buden sieht man es gar nicht an, was sie zuweilen beherbergen.“
„Meinst du? Wollen wir einmal hinein?“
„Ich bin dabei. Du als Maler interessierst dich natürlich für Gemälde, während ich als sogenannter Dichter und zugleich angehender Gelehrter mich nach Büchern, Landkarten und dergleichen umsehen werde. Komm!“
Sie waren bemerkt worden. Welcher Althändler sieht auch Käufer vor seinem Laden stehen, ohne sie zum Eintritt aufzufordern. Baruch Abraham trat heraus.
Er war eine lange, hagere Gestalt mit einer Habichtsnase, deren Kante dem Rücken eines Messers glich. Sein Kaftan, den er trug, war uralt und vielfach zerrissen, und an den beiden Ohren hingen ihm lange, graue Korkzieherlocken herab.
Die Verbeugung, welche er machte, war so tief, als ob er ein paar Prinzen vor sich habe. Dabei musterte er sie mit scharfen Augen und zog dann ein sehr zufriedengestelltes Gesicht. Er schien zu glauben, daß mit so jungen Leuten wohl ein gutes Geschäft zu machen sein werde.
Trotz ihrer jetzt so tief gebräunten Gesichtsfarbe sah er ihnen sogleich an, daß der Norden ihre Heimat sei, denn er redete sie nicht italienisch, sondern in deutscher Sprache an:
„Kommen Sie, meine Herrschaften! Treten Sie in mein Haus! Sie finden da alles, was Ihr Herz nur begehren kann.“
„So?“ lachte Max. „Wissen Sie denn ungefähr, was unser Herz begehrt?“
Er zeigte ein listiges Lächeln, zwinkerte mit den Augen und antwortete:
„Wie soll ich nicht erraten, was Ihre Seele zu begehren wünscht! Sehe ich es den hohen Herren doch an, daß sie sind große Künstler, welche besitzen genug Berühmtheit, um zu verstehen, welche Schätze sich befinden in dem Laden des alten Baruch Abraham.“
„Sie irren sich. Wir sind keine Berühmtheiten.“
„So befinden Sie sich auf dem graden Weg, es zu werden. Dem Genie sieht man es ja gleich am Gesicht an, ob es Talent besitzt oder nicht.“
Über diese so logische Ausdrucksweise mußte sogar der sonst so ernste Johannes lachen. Das vermehrte die gute Laune des Händlers um ein Bedeutendes. Leute, welche lustig sind, kaufen lieber als solche, die sich in schlechter Stimmung befinden. Er machte also auch gar nicht viele Umstände, sondern er faßte sie bei den Armen und schob sie in das Häuschen hinein.
Grad als sie sich in dem sehr engen und sehr dunklen Flur befanden, klopfte es an die Hintertür.
„Was ist denn, wer klopft denn?“ fragte er in einem strengen Ton, dessen Härte außerordentlich gegen seine bisherige Höflichkeit abstach.
„Wasser, bitte, Wasser!“ antwortete eine sehr
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