72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
ist?“
„Ja. Wir haben alle ihre Papiere mit, ihren Geburtsschein, Taufschein und alles andere.“
„Das möchte ich einmal sehen.“
„Nichts ist leichter als das.“
Er zog ein rotes Schnupftuch aus der Tasche, in welches alle dies Dokumente eingeschlagen waren und zeigte es ihnen. Die Papiere von Anita Ventevaglio stimmten.
Max und Johannes blickten sich an. Sie hatten beide ganz denselben Gedanken.
„Was werdet ihr dann mit ihr tun, wenn ihr sie wiederfindet?“ fragte der erstere.
„Zunächst wird sie ihre Strafe erhalten, und dann wird sie die Frau dieses meines Lieblingsschülers, dessen Modell sie bisher immer war.“
„Donnerwetter!“ fuhr Max empor. „Sie hat diesem Menschen Modell sitzen müssen?“
„Warum nicht?“
„So ein Engel einem solchen Pavian!“
„Signor, wollt Ihr uns abermals beleidigen!“
„Unsinn! Habe ich denn Sie einen Pavian genannt?“
„Nein, aber Signor Petro.“
„Der ist auch einer! Worin wird denn die Strafe bestehen, wenn ihr sie findet?“
„In Hunger und Schlägen.“
„Gott sei es geklagt! Meint Ihr denn nicht, daß dies eine Sünde ist?“
„Eine Sünde? Ganz das Gegenteil. Die Eltern haben ihre Kinder zu erziehen in der Furcht zum Herrn.“
„Wo wohnt ihr denn hier in Triest?“
Der Alte nannte eine obskure Herberge. Dann aber hielten es die beiden Deutschen nicht länger aus. Sie gingen. So dumm diese beiden Menschen waren, so schlecht und feige waren sie auch. Es ekelte ihnen förmlich, bei denselben zu bleiben.
„Ob das vielleicht dieselbe Anita ist?“ meinte Johannes zaghaft.
„Vermutest du es?“
„Ja.“
„Ich auch. Sie ist diesen Peinigern entflohen und als unerfahrenes Wesen in die Hände eines noch viel größeren Schurken geraten.“
„Wenn sie es ist, nehmen wir sie mit uns.“
„Wolltest du wirklich?“
„Gewiß!“
„Ich habe nichts dagegen. Dazu müßten wir aber ihre Papiere haben.“
„Wären die nicht zu bekommen?“
„Sehr leicht.“
„Aber wie?“
„Wir stehlen sie.“
„Max!“
„Was denn?“
„Schon wieder stehlen!“
„Wenn es nicht anders geht! Übrigens ist dies ja gar kein Diebstahl zu nennen.“
„O doch! Auf jeden Fall!“
„Wenn du damit ein Menschenkind aus so tiefer Not errettest, ist von einem Diebstahl keine Rede. Übrigens gehören die Papiere Anita und nicht diesem Tölpel von Farbenkleckser. Streiten wir uns aber nicht, mein lieber Johannes. Wir wollen still spazieren gehen, bis es Abend ist, und dabei warten, ob uns ein guter Gedanke kommt. Gehen wir ein wenig hinab nach der Piazza Caserma und dem Bahnhof. Andere Gesichter, andere Gedanken!“
Sie schlugen die angegebene Richtung ein.
Es pflegt im Leben eines jeden Menschen eine tatenlose Zeit auf eine tatenreiche zu folgen. Es gibt ganze Monate, welche keinen Inhalt zu haben schein, während dann gleich an einem Tag so viel auf einmal geschieht, daß man damit für längere Zeit ausreichen könnte. So auch heute mit den beiden Freunden.
Kaum waren sie auf dem Bahnhof angekommen, so dampfte ein Zug herein, welchem eine große Menschenmenge entquoll.
Sie standen da und ließen dieselbe an sich vorüberfluten. Unter den sich Herbeidrängenden befand sich auch ein alter, hoher Herr von martialischem Gesichtsschnitt. Er trug einen dunklen Reiseanzug, einen grauen Zylinderhut und einen goldenen Klemmer auf der Nase. Den Überrock am Arm und einen feinen Elfenbeinstock in der Hand, kam er langsam daher, mehr sich schieben lassend als selbst schiebend. Er war jedenfalls auch ausgestiegen und schien sein Gepäck irgendeinem dienstbaren Geist anvertraut zu haben.
Der starke, graue Schnurrbart verriet einen Militär, wie überhaupt seine Haltung etwas Strammes, Diszipliniertes zeigte.
Indem er so daherkam, fiel sein Auge ganz zufällig auf die beiden Freunde. Es zuckte wie frohe Überraschung über sein Gesicht, dann glitt ein Zug von Schalkheit über dasselbe, und er trat langsam an sie heran.
Den Hut höflich lüftend, fragte er:
„Entschuldigung, auf welcher Seite stehen hier die Fiaker?“
Beide blickten zu ihm auf, und keiner antwortete, so geradezu verblüfft waren sie.
„Bitte“, wiederholte er, „können Sie mir sagen, auf welcher Seite die Fiaker sich befinden?“
Da zog auch Max den Hut, antwortete aber lachend:
„So eine Maskerade! Sepp, meinst halt etwa, man erkennt dich nicht mehr?“
Da warf der noble, offiziersmäßig ausgestattete Herr seinen Zylinderhut vor Freude in die Luft, fing ihn wieder
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