72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
schweigen!“
Der Alte fuhr zurück. Er bekam einen Schreck und stammelte:
„Ja, Signor!“
„Das will ich Ihnen auch geraten haben. Und wenn dieses Urbild eines Dummkopfs sich noch länger hier verweilen will, so mag er seinen Hut abnehmen, wie es sich für so einen Esel geziemt.“
Er schlug dem Lieblingsschüler den Hut vom Kopf.
Der Alte war kuriert. Er setzte sich still wieder auf den Stuhl nieder. Der Junge hatte keine Miene gemacht, seinen Hut wieder aufzuheben. Er starrte Max noch immer wie ein Wundertier an.
„Setz dich endlich, Rhinozeros!“ schrie Max ihm ins Gesicht.
Sofort fuhr er auf den Sessel nieder.
Da konnte Max sich nicht länger halten. Er schlug eine helle Lache auf, und Johannes stimmte herzhaft ein. Der große Kunstmaler sah die beiden betroffen an, was diese zu erneutem Lachen reizte, welches so ansteckend wurde, daß der Alte nach und nach mit einstimmte. Endlich verzog auch der Signor Petro sein Gesicht und zeigte ein vergnügtes Grinsen.
Die von Max erhaltene Lehre schien beiden ein großes Vergnügen bereitet zu haben.
„Hören Sie, Kollege, Sie sind ein sonderbarer Kauz“, rief Max, noch immer lachend. „Kommen Sie öfters herüber nach Triest?“
„Nein. Ich bin zum ersten Mal da.“
„Und wohnen in solcher Nähe!“
„Nennen Sie das nah? Latisana liegt drüben im italienischen am Wasser des Tagliamento. Das ist doch weit!“
„Für Künstler nicht; die haben stets lange Beine, wie auch die eurigen beweisen.“
„Ich danke! Ich liebe mein Vaterland. Ich hasse Österreich und komme nie über die Grenze.“
„Aber jetzt sind Sie doch da.“
„Weil ich muß.“
„In Geschäften?“
„Nein. In Familienangelegenheiten.“
„Ah! Wollen Sie sich verheiraten?“ scherzte Max.
„Um Gottes willen! Nicht ich, sondern dieser Signor Petro will heiraten.“
Als jetzt die beiden Deutschen den ‚Lieblingsschüler‘ daraufhin ansahen, daß er heiraten wollte, brachen sie von neuem in ein lautes Gelächter aus.
„Was lachen Sie?“ fragte Signor Antonio.
„Aus Freude darüber, daß Signor Petro sich eine Frau nehmen will.“
„Ganz recht! Freuen Sie sich immerhin, denn sie ist das schönste Mädchen von ganz Italien.“
„Ah! So passen sie zusammen. Das schönste Mädchen und der begabteste Jüngling von ganz Italien.“
„Richtig. Sie sind füreinander geschaffen.“
„Wann wird die Hochzeit sein?“
„Sobald wir sie haben.“
„Wen?“
„Die Braut.“
„Ah, Sie haben die Braut noch gar nicht?“
„Wir hatten sie, aber sie ist wieder fort.“
„Etwa entflohen?“
„Ja, mir, ihrem Oheim und Vormund! Ist das nicht schändlich?“
„Hm, da kann ich nicht urteilen.“
„Sie sollen sofort urteilen können, Signor. Ich bin der Kunstmaler Signor Antonio Ventevaglio aus Latisana. Mein Bruder war der Goldschmied Carlo Ventevaglio. Er starb und bald darauf seine Frau. Sie hinterließen eine kleine Tochter und ein noch kleineres Vermögen. Wir nahmen das Kind zu uns, nämlich meine Gattin und ich, und erzogen es. Es wuchs heran, aber das Vermögen nahm ab.“
„Weshalb nahm es ab?“
„Weil es Gottes Wille war. Später kam mein Lieblingsschüler hier in mein Haus. Er wuchs mit Anita heran und gewann sie lieb. Sie sollten ein Paar werden; aber Anita wollte nicht. Wir versuchten in elterlicher Liebe, ihre Hartnäckigkeit erst durch gute Worte, dann durch ernste Ermahnungen, endlich aber durch Hunger, Durst, Kälte und Schläge zu besiegen, vergeblich. Vor einiger Zeit ist sie uns entflohen, und wir haben sie bisher vergeblich gesucht.“
„Ach!“ rief Johannes. „Wie hieß sie?“
„Anita!“
„Ist sie blond, braun oder schwarz?“
„Schwarz.“
„So, so!“
„Habt ihr sie denn gesehen, Signor?“
„Ist sie hier in Triest, daß Sie fragen können, ob wir sie gesehen haben?“
„Ihre Spur, welche wir weit verfolgt haben, führte uns endlich hierher.“
„Und nun sucht ihr hier?“
„Ja, bereits mehrere Tage.“
„Habt ihr etwas gefunden?“
„Nichts, gar nichts.“
„Und wie lange wollt ihr noch suchen?“
„Bis wir sie haben.“
„Dazu gehört Zeit und Geld.“
„Wir haben beides. Der Rest von Anitas Vermögen wird dazu ausreichen.“
„Und denkt ihr dann, daß ihr sie finden werdet?“
„Ja. Wir halten ja nicht eher auf, als bis wir sie gefunden haben.“
„Vielleicht müßt ihr da weit reisen. Habt ihr Legitimationen?“
„Ja.“
„Könnt ihr denn auch, wenn ihr Anita findet, beweisen, daß sie es
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