Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Habichtsnase.
    Der andere war ebenso lang und womöglich noch dürrer. Aus seinem breiten, schmutzigen Hemdkragen stieg ein himmelhoher Hals empor, auf welchem der Kopf schaukelte wie eine brandige Ähre auf ihrem Halm. Er schielte ein wenig. Man wußte nur nicht, wohin. Er hatte die beiden Daumen im Knopfloch stecken, und die andern herabhängenden acht Finger waren in beständiger zuckender Bewegung, als ob sie Harfe spielten.
    Da es noch im Frühjahr war und es noch keinen eigentlichen warmen Tag gegeben hatte, standen außer demjenigen, an welchem die beiden Freunde saßen, noch keine Tische im Garten.
    Die Ankömmlinge schienen es aber auf den letzteren abgesehen zu haben, und so kamen sie langsam näher geschlängelt, bis sie vor den beiden standen.
    Der Alte lüftete den Hut und fragte:
    „Wohl Kollegen?“
    Er sprach das Deutsche wie ein Italiener aus.
    „Was sind Sie denn?“ erkundigte sich Max.
    „Maler von der Kunst.“
    „So sind wir allerdings Kollegen.“
    „Ist es erlaubt?“
    Er deutete dabei auf die beiden leeren Stühle, welche noch am Tisch standen.
    „Sehr gern“, antwortete Max.
    Der Alte setzte sich nieder.
    Der Junge hatte still dagestanden, die beiden Freunde mit offenem Mund anstierend und dabei mit acht Fingern spielend. Es konnte kein dümmeres und doch verschlageneres, tückischeres Gesicht geben als das seinige. Er hatte auch nicht gegrüßt.
    Jetzt, als der Alte sich setzte, drehte der Junge sich herum, Max seinen Rücken zudrehend; er wollte sich setzen, ohne den Stuhl berühren zu müssen. Jedenfalls war es ihm unerträglich, die Daumen aus dem Knopfloche nehmen zu müssen.
    Das war so im höchsten Grad rücksichtslos und beleidigend, daß Max die Lehne des betreffenden Stuhls an sich zog, als ob er sich stützen wolle. Der Harfespielende sah das nicht, weil er sich umgedreht hatte. Er glaubte, daß der Stuhl noch in seiner vorigen Lage sei, setzte sich und – plumpste natürlich mit aller Gewalt auf die Erde nieder.
    Der Alte sprang zornig auf und ballte die Fäuste.
    „Signor“, rief er, „was haben Sie getan! Welch eine Beleidigung für Petro, meinen Lieblingsschüler, den begabtesten Jüngling von ganz Italien.“
    Dieser begabteste Jüngling von ganz Italien hatte sich wieder aufgerafft. Er setzte den verlorenen Hut auf, steckte die Daumen wieder in das Knopfloch und starrte Max tückisch an.
    Der letztere antwortete dem zornigen Maler in ruhigem Erstaunen:
    „Mein Herr, was fällt Ihnen ein! Inwiefern soll ich denn jemand beleidigt haben.“
    „Sie haben dem Signor den Stuhl weggezogen!“
    „Den Stuhl habe ich an mich genommen, um es mir bequem zu machen; daß ich ihn aber jemandem weggezogen haben soll, das bestreite ich entschieden.“
    „Wie, Sie bestreiten das?“
    „Allerdings.“
    „Ich aber behaupte es.“
    „So begreife ich Sie nicht. Ich habe keinen Menschen gesehen, der etwas getan hätte, was mich hätte vermuten lassen, daß er hier Platz nehmen wolle.“
    „So behaupten Sie, Signor Petro nicht gesehen zu haben?“
    „Einen jungen Menschen habe ich allerdings gesehen; ich sehe ihn sogar noch; ob er Petro heißt, das weiß ich nicht. Aber daß er sich hat zu uns setzen wollen, davon habe ich keine Ahnung. Er hat nicht gegrüßt, er hat seinen Hut nicht berührt, er hat kein Wort gesprochen, sondern die Hände in dem Knopfloch behalten. Wie soll ich ahnen, daß er sich uns anschließen will. Man pflegt doch wenigstens zu grüßen, wenn man anständigen Leuten Gesellschaft leisten will.“
    „Signor Petro braucht niemanden zu grüßen, denn er ist mein Lieblingsschüler.“
    „Ach so! Und wer sind Sie denn?“
    „Ich bin Signor Antonio Ventevaglio, der berühmte Maler von Latisana.“
    „So, so! Ich kenne Sie nicht. Was malen Sie denn?“
    „Alles!“
    „Nun, so malen Sie Ihrem Lieblingsschüler gefälligst etwas Verstand in das Gesicht; der fehlt ihm außerordentlich.“
    „Signor, wollen Sie nun auch mich beleidigen!“
    „Nein; aber ich will Ihnen sagen, daß ich Sie nicht hergerufen habe und daß ich keineswegs die Absicht besitze, mir meine gute Laune verderben zu lassen. Scheren Sie sich ganz gefälligst fort, sonst werfe ich Ihnen Ihren Lieblingsschüler an den Kopf, daß euch beiden Sehen und Hören vergeht.“
    Zunächst war der berühmte Maler fassungslos. Dann aber sprang er auf, um eine Strafrede loszulassen; da aber stand auch Max auf, trat hart an ihn heran und donnerte ihm zu:
    „Herrrr! Wollen Sie vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher