72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
Drum komme ich so spät.“
„Der Steuermann? Was wollte er?“
„Er erkundigte sich, ob wir bereit seien. Der Kapitän könne nicht warten. Er lichte morgen abend die Anker.“
Beide hatten sichtlich die Absicht, so zu sprechen, daß niemand es hören solle. Aber der Jude sprach infolge seiner Trunkenheit lauter, als es geraten war, und der Italiener verhielt sich ganz unwillkürlich ebenso. Sie steckten die Köpfe zusammen. Sepp hörte aber trotzdem jedes Wort.
„Morgen abend schon?“ meinte der Jude. „Das ist mir freilich nicht lieb.“
„Warum?“
„Ich dachte, es solle noch eine Sendung kommen. Ich lauere schon seit Tagen auf sie. Der Baron hat sie mir versprochen.“
„Ja, und der Kapitän lauert ebenso, aber nun kann er nicht länger warten. Er hat vom Reeder eine Depesche bekommen, daß er sofort in See gehen soll.“
„Verflucht! Er hat doch noch nicht volle Fracht!“
„Tut nichts. Er nimmt andere.“
„So müssen wir uns eben fügen.“
„Schön. Kommst du heraus?“
„Natürlich! Ich muß ihm das Volk doch übergeben. Ich muß unbedingt dabei sein, wenn er bezahlt.“
„Ich könnte das Geld auch übernehmen.“
„Nein, mein Junge, das wollen wir unterlassen.“
„Mißtraust du mir? Denkst du etwa, daß ich dich betrüge?“
„O nein. Aber diesem Kapitän Marmel traue ich nicht. Er ist ein Franzose.“
„Hat er dich bereits betrogen?“
„Versucht hat er es, aber es ist ihm nicht gelungen. Wann kommt er?“
„Kurz nach Mitternacht will er an der Insel beidrehen und die Boote aussenden.“
„So bin ich kurz vorher bei dir.“
„Wie steht es? Hast du nichts nachzusenden?“
„O ja, einige. Wir müssen sie also noch in dieser Nacht fortschaffen.“
„Gut. Ich nehme sie mit. Sie werden mir doch keine Scherereien machen?“
„Nein. Nur einer traue ich nicht. Es ist eine Italienerin. Sie heißt Anita und will sich nicht in ihr Schicksal finden.“
„Ist sie hübsch?“
„Sehr!“
„So muß sie. Je hübscher sie ist, desto mehr bekommen wir bezahlt. Und wenn sie nicht will, so wird sie gezwungen.“
„Aber kein Aufsehen erregen, kein Aufsehen! Hörst du, Petruccio?“
„Natürlich! Sie wird gefesselt und wir verbinden ihr den Mund. Dann trage ich sie. Ich kenne ja die Schliche, so daß wir niemandem begegnen.“
„Wirst du denn allein fertig?“
„Ich habe meinen Bruder mit.“
„Das ist gut. Zu zweien geht es besser.“
„Wann soll ich kommen?“
„Hm! Hast du noch Zeit?“
„Warum fragst du? Paßt es dir jetzt nicht?“
„Nein. Erstens ist es noch zeitig. Es würden euch Leute begegnen. Und zweitens befinde ich mich in angenehmer Gesellschaft.“
„Die beiden Knaben dort?“
„Knaben? Es sind feine Herren, Künstler.“
„Hm!“ brummte der Italiener, indem er Max und Hans mit verächtlichem Blick musterte.
„Ich sage dir, sie sind fein“, wiederholte der Jude mit der Beharrlichkeit eines Betrunkenen. „Sie bezahlen meine Zeche.“
„Ja, wer das tut, der ist bei dir fein.“
„Freilich sind sie nicht die Klügsten. Sie haben mir für fünfundzwanzig Gulden eine alte Kleckserei abgekauft, für welche ich nur zwei Gulden gegeben habe, und ich hoffe, ihnen auch noch mehr aufzuhängen.“
„Gratuliere. Aber wegen deiner feinen Zeche kann ich doch nicht bis früh warten!“
„Sollst du das etwa? Die richtige Zeit ist zwei Uhr nach Mitternacht. Da sind selbst die Nachtschwärmer zu Bett.“
„So komme ich also um diese Zeit. Soll ich vorn klingeln, oder meinst du, daß –“
„Nein, nein“, fiel der Jude rasch ein. „Vorn dürft ihr euch nicht blicken lassen. Kommt an die Hoftür!“
„Dann darfst du uns aber nicht warten lassen.“
„Nein. Punkt zwei Uhr bin ich an der Pforte.“
„Hm! Baruch Abraham, könntest du heute wirklich so pünktlich sein? Ich zweifle daran.“
„Warum?“
„Weil du betrunken bist.“
„Betrunken? Ich? Herr meiner Väter! Baruch Abraham soll betrunken sein!“
„Ja, du bist es. Du kannst nicht gerade stehen.“
„Ich nicht gerade stehen! Wer behauptet das? Das ist nicht wahr, das ist eine Lüge, ich werde es dir gleich beweisen.“
Er wollte aufstehen, um den Beweis zu liefern; aber der Italiener hielt ihn am Arm nieder.
„Bleib sitzen, Alter, und rede leiser! Du machst ja die Leute aufmerksam auf uns!“
„Pah! Es schaut niemand her.“
„Aber der Alte da neben uns könnte uns hören.“
„Der guckt in seine Zeitung, und übrigens sprechen wir ja leise. Wie geht es
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