72 Tage in der Hoelle
Reisegeschwindigkeit von rund 370 Stundenkilometern in kleine Stücke zerrissen. Aber die Aktion kam so spät, dass die Maschine es nicht mehr bis über den Berg schaffte. Sie krachte ungefähr mit der Stelle, wo die Tragflächen am Rumpf befestigt sind, auf den Abhang. Die Folgen waren katastrophal: Zuerst wurden die Tragflächen abgerissen, und die Rechte flog in Spiralen zum Pass hinunter. Die Linke schlug gegen den Rumpf und schlitzte ihn mit dem Propeller auf, bevor auch sie vom Berg abstürzte. Einen Sekundenbruchteil später brach die Maschine entzwei, und der Schwanz stürzte ebenfalls in die Tiefe. Alle, die hinter mir gesessen hatten, waren auf der Stelle tot – der Steward, die drei Jungen, die Karten gespielt hatten. Einer von ihnen war Guido.
Genau in diesem Augenblick spürte ich, wie eine unbeschreibliche Kraft mich von meinem Sitz hob und nach vorn schleuderte, als ob ein Riese mich wie einen Baseball gegriffen und mit aller Kraft geworfen hätte. Ich weiß noch, wie ich irgendwo aufprallte, vermutlich auf die Wand zwischen Passagierraum und Cockpit. Ich spürte, wie die Wand nachgab, dann verlor ich das Bewusstsein, und der Absturz war für mich vorüber. Die anderen erlebten eine weitere entsetzliche Etappe: Der Rumpf schoss ohne Tragflächen, Motoren und Schwanz weiter, vorwärts wie eine fehlgeleitete Rakete. Dabei ereignete sich das erste von vielen Wundern. Das Flugzeug wackelte nicht und überschlug sich nicht. Aber schließlich verlor der Rumpf an Bewegungsenergie, die Nase kippte vornüber, und die Maschine begann, nach unten zu sacken. Jetzt rettete uns das zweite Wunder: Der Fallwinkel der Fairchild entsprach fast genau dem Gefälle des steilen Abhangs, über den wir in diesem Moment flogen. Wäre dieser Winkel nur ein paar Grad flacher oder steiler gewesen, der Rumpf hätte sich an dem Berg überschlagen und wäre völlig zu Bruch gegangen. Stattdessen landete die Maschine auf dem Bauch und raste wie ein Rodelschlitten die schneebedeckte Böschung hinunter. Die Menschen an Bord schrien und beteten laut, während das Flugzeug mit 300 Stundenkilometern gut 400 Meter weiterschlitterte. Zum Glück fand es einen Weg zwischen Felsbrocken und Gesteinsvorsprüngen hindurch und blieb schließlich mit einem gewaltigen Ruck in einer riesigen Schneewehe stecken. Bei dem Aufprall wirkten ungeheure Kräfte. Die Nase der Fairchild wurde eingedrückt wie ein Pappbecher. Im Passagierraum rissen die Sitze aus ihren Verankerungen, flogen mit den auf ihnen sitzenden Menschen nach vorn und prallten gegen die Trennwand zum Cockpit. Mehrere Passagiere wurden sofort zerquetscht, weil die Sitzreihen sich hinter ihnen ineinanderschoben wie die Falten eines Akkordeons, bis sie schließlich einen unordentlichen Haufen bildeten, der den vorderen Teil der Kabine fast bis zur Decke ausfüllte.
Coche Inciarte, ein Anhänger der Mannschaft, erzählte mir, wie er sich an die Lehne des Sitzes vor ihm geklammert hatte, während die Maschine den Berg hinunterschoss. Er rechnete jede Sekunde damit, zu sterben.Wie er weiter berichtete, kippte der Rumpf nach dem Aufprall zur Seite und blieb dann leicht schräg im Schnee liegen. Erst herrschte nur benommenes Schweigen, aber schon wenig später wurde die Stille von leisem Stöhnen und dann von spitzen Schmerzensschreien durchbrochen. Coche lag unverletzt in dem Durcheinander der Sitze und war erstaunt, dass er noch lebte. Überall war Blut, und unter dem zusammengedrückten Wirrwarr der Sitze ragten die Arme und Beine lebloser Körper hervor. In seiner Verwirrung fiel ihm plötzlich seine Krawatte auf: Sie war von der Gewalt des Windes, der während der wilden Schlittenfahrt den Berg hinunter entstanden war, zu Fäden zerfasert worden. Alvaro Mangino erinnerte sich, wie er von der Wucht des letzten Aufpralls unter seinen Vordersitz gequetscht wurde. Als er eingezwängt auf dem Boden lag, hörte er überall um sich herum Stöhnen und Schreien. Wer ihm am meisten Rätsel aufgab, war Roy Harley, der sich hellblau verfärbt zu haben schien. Später stellte sich heraus, dass Roy eine Ladung Flugbenzin abbekommen hatte.
Neben Alvaro saß Gustavo Zerbino. Er erklärte, er habe beim ersten Aufprall gesehen, wie der Sitz von Carlos Valeta losgerissen wurde und im Himmel verschwand. Als der Rumpf den Abhang hinuntersegelte, stand Gustavo auf, klammerte sich an die Gepäckablage über seinem Kopf, schloss die Augen und schrie: »Lieber Gott, lass mich leben!« Er war überzeugt, dass er
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