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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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wusste, dass wir nicht auf die Kälte einer Winternacht in den Anden eingerichtet waren. Wir trugen leichte Sommerkleidung – einige hatten Blazer oder Sportjacken an, die meisten waren aber in Hemdsärmeln. Wir hatten keine warmen Mäntel, keine Decken, nichts, was uns vor der grimmigen Kälte schützen konnte. Eines erkannte Marcelo sehr genau: Wenn es nicht gelang, den Flugzeugrumpf zu einer brauchbaren Behausung zu machen, würde keiner von uns den nächsten Morgen erleben. Aber die Maschine war derart voller verhakter Sitze und anderer Trümmer, dass auf dem Fußboden nicht einmal genug Platz zum Hinlegen für die Verletzten war, von Schlafstellen für Dutzende von unverletzten Überlebenden ganz zu schweigen.
    Nachdem Marcelo klar war, dass das Durcheinander aus dem Rumpf entfernt werden musste, machte er sich an die Arbeit. Zunächst sammelte er eine Truppe von Helfern und gab ihnen den Auftrag, die Toten und Verletzten aus dem Rumpf zu holen. Mit langen Nylongurten, die sie im Gepäckraum gefunden hatten, zogen sie die Leichen ins Freie. Die Verletzten wurden vorsichtiger nach draußen getragen, und nachdem sie im Schnee lagen, wies Marcelo die anderen an, auf dem Fußboden möglichst viel Fläche frei zu machen. Sie gaben sich alle Mühe, seinen Anweisungen zu folgen, aber es war eine grausige Tätigkeit, und sie ging quälend langsam voran. Diejenigen, die mit anpackten, litten unter dem eisigen Wind und rangen in der dünnen Luft um Atem. Als die Dunkelheit hereinbrach, hatten sie erst einen kleinen freien Raum in der Nähe des klaffenden Lochs am Hinterende des Rumpfes frei geräumt.
    Um 18 Uhr gab Marcelo ihnen die Anweisung, die Verletzten wieder in den Rumpf zu bringen; dann kamen die Gesunden hinzu und richteten sich auf die vor ihnen liegende, lange Nacht ein. Nachdem jeder seinen Platz gefunden hatte, baute Marcelo eine behelfsmäßige Wand, um die große Öffnung hinten im Rumpf, wo der Schwanz der Maschine abgebrochen war, abzudichten. Mit Roy Harleys Hilfe stapelte er Koffer, Flugzeugtrümmer und Sitze in der Öffnung auf, dann verschloss er die Lücken mit Schnee. Die Mauer war alles andere als winddicht, und in der Maschine herrschten immer noch eisige Temperaturen, aber Marcelo hoffte, dass die Wand uns wenigstens vor den schlimmsten Minustemperaturen schützen würde.
    Als die Mauer fertig war, legten sich alle für die Nacht hin. An Bord der Fairchild waren 45 Passagiere und Besatzungsmitglieder gewesen. Man wusste von fünf Toten an der Absturzstelle. Das Schicksal acht weiterer Menschen war ungeklärt. Mindestens einer von ihnen, nämlich Carlos Valeta, schien jedoch sicher tot zu sein. Zerbino hatte Valetas Sitz aus dem Flugzeug fallen sehen, allerdings hatte der den Sturz wie durch ein Wunder überlebt. Ein paar Jungen hatten ihn unmittelbar nach dem Absturz ausgemacht, wie er einige hundert Meter entfernt den Abhang hinunterstolperte. Sie hatten nach ihm gerufen, und es sah so aus, als wollte er sich in Richtung der Absturzstelle wenden, aber dann stolperte er im tiefen Schnee und taumelte die Böschung hinunter, bis er nicht mehr zu sehen war. Damit befanden sich noch 32 Personen lebend an der Absturzstelle. Lagurara war immer noch im Cockpit gefangen. Einige Verletzte und Liliana Methol, die einzige unverletzte Frau, hatten sich im Gepäckraum der Fairchild zusammengedrängt, dem wärmsten Platz in der Maschine. Alle anderen befanden sich dicht bei dicht auf dem trümmerübersäten Boden des Rumpfes. Die Fläche maß nicht mehr als zweieinhalb mal drei Meter.
    Da die Nacht so schnell hereingebrochen war, hatte die Zeit nicht mehr gereicht, um alle Leichen ins Freie zu schaffen. Die Überlebenden mussten sich also zwischen den Toten zusammenkauern, wobei sie die Leichen der Freunde hin und her schoben, um sich ein paar Zentimeter mehr Platz zu verschaffen. Es war eine albtraumhafte Szene, aber Angst und Schmerzen überschatteten das Entsetzen. In den beengten Verhältnissen war es schrecklich unbequem, und trotz Marcelos Mauer erwies sich die Kälte als unerträglich. Die Überlebenden drängten sich zusammen und hielten sich gegenseitig warm. Einige baten den Nebenmann, ihnen in die Arme und Beine zu kneifen, um so die Durchblutung anzuregen.
    Irgendwann fand Roberto heraus, dass man die Stoffbezüge der Sitze ganz leicht durch das Öffnen von Reißverschlüssen abnehmen und als Decken verwenden konnte. Sie bestanden aus dünnem Nylon und boten kaum Schutz gegen die Kälte, aber

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